Wirtschaft & Umwelt 1/2019

*Helmut Burtscher-Schaden ist promovierter Biochemiker, Buchautor (Die Akte Glyphosat (K&S)), Chemie-Experte für die Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und Mitbegründer der Europäischen Bürgerinitiative „Stop Glyphosat“. E ines will ich gleich vorausschicken: Das Pestizidgesetz, die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, welches die Eu- ropäische Union vor zehn Jahren be- schlossen hat, ist eines der fortschritt- lichsten auf dieser Welt. Es basiert auf dem Vorsorgeprinzip und verlangt ein hohes Schutzniveau für die menschli- che Gesundheit. So dürfen Pestizide „keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Ge- sundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengrup- pen“ haben. Auch dürfen sie keine „un- anehmbaren Auswirkungen“ auf die Umwelt haben, weder auf Wasser, Luft oder Boden, noch auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen. Den Beweis, dass diese Vorausset- zungen erfüllt sind, müsen die Herstel- ler der Pestizide vorlegen. Dazu beauf- tragen sie spezialisierte Vertragslabore mit der Durchführung entsprechender Studien: Mögliche Umwelteffekte wer- den an Modellorganismen für Fische, Erdwürmer oder Bienen untersucht. Gesundheitsrisiken für den Menschen sollen Studien mit Labormäusen und Ratten aufklären. Die Behörde hat den Zulassungsantrag „unabhängig, ob- jektiv und transparent“ zu bewerten. Erweist sich dabei ein Pestizidwirkstoff bei den Versuchstieren als krebser- regend, mutagen, fruchtschädigend oder hormonschädigend, darf es keine Zulassung geben. So steht es im Ge- setz. Aber wie ist die Umsetzung in der Praxis? Systemversagen bei Glyphosat Das Vertrauen in das Zulassungs- system für Pestizide und die verant- wortlichen Behörden bekam Risse, als im März 2015 das weltweit meistver- wendete Pestizid, der Unkrautvernich- ter Glyphosat, von der Weltgesund- heitsorganisation (WHO) als „wahr- scheinlich krebserregend für den Men- schen“ eingestuft wurde. Denn ein Jahr zuvor, im Jänner 2014, hatte das mit der EU-Bewertung betraute deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sich weit hinaus gelehnt und FOTOS: REINHARD GESSL (1), RICHARD PETRASEK (1), GLOBAL 2000/STEPHAN WYCKOFF (1), EML/AK-WIEN (1) Pestizidbehörden in der Kritik www.ak-umwelt.at SEITE 14 WIRTSCHAFT & UMWELT 1/2019 KURZGEFASST Pestizide seien die best­ untersuchten Stoffe, sagen jene, die sie herstellen und verkaufen. Sie seien sicher für Mensch und Umwelt, sagen jene die sie prüfen und zu- lassen. Doch die Kontroverse um Glyphosat nährte Zweifel an diesen Aussagen – und gab Anstoß für eine kleine Revolution des europäischen Zulassungssystems. Giftstoffe, die in der Landwirtschaft und im Hausgarten eingesetzt werden, kommen aus dem Labor und erfüllen ihren Zweck: Sie töten Organismen. Dabei unterscheiden sie nicht ausreichend zwischen „Schädlingen“ und anderen Lebewesen – deshalb können sie zur Gefahr werden. VON HELMUT BURTSCHER-SCHADEN* Schwerpunkt Pestizide ª

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