Seite 5 - AK_Stadt_2_2012

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AK Stadt · Seite 5
wien.arbeiterkammer.at/meinestadt
Argumentationsfalle schnappt zu, wenn
dann jene, die selber in sicheren und gut
bezahlten Jobs sitzen, den anderen, die nur
instabile Arbeitsplätze und billige Wohnge-
genden kennen, Toleranz und Solidarität
predigen. Jedoch ohne zu bemerken, wie
sehr sie an deren Lebensrealität vorbeireden.
Integration muss daher auf gleichberechtigte
Teilhabe an den sozialen und wirtschaftli-
chen Ressourcen und Entscheidungen
abzielen. Dabei darf keine Gruppe sozial
vernachlässigt werden, weder ZuwanderIn-
nen noch Einheimische. Voraussetzung ist,
dass der Zugang zu Bildung sowie Arbeits-
und Wohnungsmarkt diskriminierungsfrei
und sozial gerecht gestaltet ist. Konflikte um
knappe Ressourcen müssen durch eine
funktionierende Wirtschafts-, Sozial-,
Arbeitsmarkt- und Kommunalpolitik mini-
miert werden. Eine Garantie für ein kulturell
offenes Klima gibt es nicht. Klar ist aber:
Kommentar
FREMD SEIN,
HEIMISCH WERDEN
Ein Widerspruch?
Rechtsnormen
regeln das Zusammenleben der
Menschen – in der Stadt, in Öster-
reich, in Europa. Einige davon
befassen sich mit dem Zuwande-
rungs- und Aufenthaltsrecht. Diese
Gesetze sprechen von „Fremden“
und „Ausländern“: Schon die
Begriffe wecken Zweifel, ob es
dem Gesetzgeber ein Anliegen ist,
dass sich Menschen unabhängig
von ihrer Herkunft willkommen füh-
len können.
Was erwartet Menschen aus „Dritt-
staaten“ wenn sie in Österreich
leben wollen? Notwendig ist ein
Nettoeinkommen von etwa 1.600
Euro (für eine dreiköpfige Familie,
abhängig von der Miete), für viele
eine nicht zu schaffende Hürde.
Beide EhegattInnen müssen über
21 Jahre sein, sonst dürfen zwar
deren Kinder, nicht aber die Ehe-
gattInnen nachziehen. Stammen
die Personen aus einer ländlichen
Gegend, wird das geforderte
Sprachdiplom vor der Antragstel-
lung für einen Aufenthaltstitel oft-
mals unmöglich. Wer bis zwei
Jahre nach der Zuwanderung einen
Sprachtest nicht besteht, für die/
den ist der Aufenthalt nach zwei
Jahren wieder zu Ende – so will es
zumindest das Gesetz.
Viel wird geschrieben über Integra-
tion und Inklusion, Begriffe, die sich
um das Zusammenleben der Men-
schen drehen. Das „Fremden“recht
stellt (zumindest teilweise) dazu
einen Begriffsgegensatz dar: Hier
werden Regeln über Fremde
getroffen.
Dass es anders geht, haben die
Sozialpartner bewiesen: Das
Modell der Arbeitsmigration kommt
ohne Drohungen und Knock-Out-
Kriterien aus. Vielleicht zum Nach-
ahmen geeignet?
à
sich auf uns einzulassen. Andernfalls kann
nicht von gelungener Integration gesprochen
werden. Dasselbe muss auch für die Inte­
gration von ZuwanderInnen gelten: Eingliede-
rung in die Gesellschaft, aber nicht als Unter-
werfungsakt, sondern mit demRecht und der
Möglichkeit, diese Gesellschaft auch mitzu-
prägen.
Gerechte Ressourcenverteilung
Die Kernfrage ist: Wie viel kulturelle Verschie-
denheit lernen wir – MigrantInnen und Nicht-
migrantInnen – auszuhalten und wie gerecht
empfinden wir den Zugang zu den Ressour-
cen unserer Gesellschaft? Die Kombination
von geringer Verschiedenheitstoleranz und
ungerecht erlebter Ressourcenverteilung
führt besonders leicht dazu, ZuwanderInnen
als Sündenböcke wahrzunehmen und sie als
unliebsame Konkurrenz um Arbeitsplatz und
Einkommen zu präsentieren. Die klassische
Johannes Peyrl
ist Jurist und
Experte für
­Migrations­recht in
der Abteilung
Arbeitsmarkt der
AK Wien.
Erstens.
Wollen und
können wir Diskriminie-
rungsmechanismen
gegen ZuwanderInnen
erfolgreich zurück­
drängen?
Zweitens.
Können wir
auch jenen Einheimi-
schen, die sozial und
wirtschaftlich mit dem
Rücken zur Wand ste-
hen, eine Perspektive
geben?
Drittens.
Wird es gelin-
gen, einkommens-
schwache Bezirke ver-
stärkt mit öffentlicher
Infrastruktur wie erhöhte
Ressourcenzuteilung an
Schulen und Kinder­
gärten, lebenswertem
öffentlichen Raum und
guter Erreichbarkeit
auszustatten?
Viertens.
Lernen wir
mit kulturellen Unter-
schieden einigermaßen
entspannt umzugehen,
oder lassen wir uns sehr
rasch in Zuspitzung und
Problemübertreibung
hineindrängen?
Zukunft: Vier Fragen, von denen der soziale Zusammenhalt der Stadt abhängt
Ende des 19. Jahrhunderts hatten 60 Prozent der WienerInnen Migrationshintergrund.
Integration und deren Herausforderungen sind in Wien nichts Neues.