Seite 9 - AK_Stadt_4_2012

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Die AK Analyse zeigt konkret: Reduziert
der Staat seine öffentlichen Beteiligungen
bei OMV, Post, Telekom, den Energiever-
sorgern, Flughafen Wien, BIG, den Bun-
desforsten und Münze Österreich auf die
Sperrminorität, ist mit einem geschätzten
jährlichen Verlust – berechnet nach den
fehlenden Gewinnen – von 470 Millionen
Euro zu rechnen (die Zinsersparnis durch
eine mögliche Schuldentilgung bereits ein-
gerechnet). Mag die Privatisierung auch
als schnelles Mittel zur Problemlösung er-
scheinen, so wird sie langfristig von einem
negativen Ertragsaspekt begleitet. Während
der Privatisierungserlös eine einmalige Um-
wandlung von Staatsanlagevermögen in
liquide Mittel darstellt, werden die jährlichen
negativen Auswirkungen auf Dauer fort-
geschrieben und wirken sich auch noch in
Jahren auf die Staatsfinanzen aus.
Dass die Kommunen bei diesen Interventi-
onen auch enorm an Einfluss verlieren, wird
kaum bedacht. Zu privatisieren, bedeutet
nicht automatisch effizientere Leistungser-
bringung oder gar verbesserte und billigere
Angebote – in vielen Fällen ist sogar das
Gegenteil eingetreten. Auf lange Sicht kann
eine Privatisierung selten Budgetnöte lösen,
denn kurzfristigen, einmaligen Erlösen ste-
hen fast immer langfristige Belastungen ge-
genüber. In Summe steigen Gemeinden zu-
meist schlechter aus, als anfänglich erhofft.
Wenn eine Privatisierung zu Qualitätsverlust
und Preissteigerung führt, muss für hohe
Summen rekommunalisiert werden. Wie-
derum eine schwere Bürde für die ohnehin
bereits stark belasteten kommunalen Bud-
gets. Ebenso ist die Auslagerung kommu-
naler Leistungen an private Unternehmen,
die aber weiter mehrheitlich in Gemeinde-
eigentum stehen, sehr kritisch anzusehen:
Der Arbeitsdruck steigt, der Anteil prekärer
Beschäftigungsverhältnisse nimmt zu, die
Löhne sinken. Eine scheinbare Lösung ent-
puppt sich als gravierendes Problem mit
entsprechend negativen Konsequenzen für
Leistungserbringung und Qualität.
Interview
Ausverkauf schafft Krise
am Wohnungsmarkt
Wie hat sich der Berliner
Wohnungsmarkt entwickelt?
Zwischen 1990 und 2010
wurden über 200.000 Wohnun-
gen in Berlin privatisiert. Die
meisten wurden aber nicht an
die Mieter, sondern im Ganzen
an Bieterkonsortien verkauft.
Ein Ausverkauf?
Berlin hatte
schon in den 1990er-Jahren
Budgetprobleme. Von den
14 kommunalen Wohnungs-
unternehmen wurden sieben
beauftragt, jeweils ein anderes
kommunales Unternehmen
bei sich anzugliedern. Diese
Angliederung wurde als Verkauf
deklariert und der anfallende
Kaufpreis musste an den Berli-
ner Finanzsenat bezahlt werden
– für diesen finanzpolitischen
Taschenspielertrick mussten die
Wohnungsbaugesellschaften
neue Kredite aufnehmen. Fünf
Jahre später wurde in einem
Gutachten festgestellt, dass die
Berliner Wohnungsunterneh-
men hoch verschuldet sind.
Der politische Hintergrund
ist…
eine Verbetriebswirt-
schaftlichung der Stadtverwal-
tung seit Beginn der 1990er-
Jahre. In diesem so genannten
New Public Management
sollen Städte schwarze
Zahlen schreiben und wie ein
Unternehmen wirtschaften.
Was macht die Privatisierung
für Investoren attraktiv?
Je
weniger Auflagen, desto
attraktiver ist das Geschäft.
Im Jahr 2004 wurden 64.000
gemeinnützige Wohnungen an
ein Konsortium internationaler
­Finanzinvestoren verkauft – sel-
ten werden so viele Wohnungen
auf einen Schlag verkauft.
Die Wohnungssituation ist
dramatisch.
Ja, weil vor allem
die als Sozialwohnungen errich-
teten, preiswerten und kleinen
Wohnungen verkauft wurden.
Mit welchen Auswirkungen?
Früher hieß es, Berlin hat
einen entspannten Woh-
nungsmarkt und braucht keine
Wohnungspolitik. Auch, dass
niemand mehr als 5 Euro
pro Quadratmeter verlangen
könne. Doch seit fünf Jahren
steigen die Wohnpreise in
allen Segmenten des Woh-
nungsmarktes drastisch an.
Inzwischen wird diskutiert, ob
es nicht gut wäre, wenn die
kommunalen Unternehmen ihre
Wohnungsbestände erweitern.
Wie sind die kommunalen
Dienstleistungen betroffen?
Ein zentraler Effekt ist die
Entlokalisierung der Eigen-
tümerstruktur und die damit
einhergehende Entdemokrati-
sierung. Entscheidungen, die
lokale Infrastrukturen betreffen,
können gar nicht mehr lokal
verhandelt werden. Auch bei
Protesten von MieterInnen
und Kunden ist es kaum noch
möglich, die Geschäftsfüh-
rung mit diesem Anliegen
direkt zu konfrontieren.
Dr. Andrej Holm
ist wissenschaft­
licher Mitarbeiter an der
Humboldt-Universität Berlin. For-
schungsthemen: Stadterneuerung,
Gentrifizierung und Wohnungspoli-
tik. Er betreibt auch einen Blog unter
http://gentrificationblog.wordpress.
com
AK Stadt · Seite 9
wien.arbeiterkammer.at/meinestadt
Berlin hat kommunale Einrichtungen verschleudert
und kämpft nun mit den Folgen. Sozialwissenschafter
Andrej Holm über die Situation der Großstadt.