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Seite 30

Wirtschaft & Umwelt 1/2015

Ende 2013 568 Fälle bekannt. Die Dunkelzahl

dürfte aber viel höher liegen, da viele Kläger

Schiedsgerichte ohne Transparenzregeln

anrufen, deren Verfahren unter Ausschluss

der Öffentlichkeit abgewickelt werden.

Der oft zitierte Paradefall einer Investor-

klage gegen neue Umweltgesetze ist der von

Vattenfall gegen Deutschland: 2012 hat der

schwedische Energiekonzern eine Scha-

densersatzklage von 3,5 Milliarden Euro

in Reaktion auf das Atomausstiegsgesetz

eingereicht. Sein Argument: Im Vertrauen auf

Laufzeitverlängerung hätte er in die Atom-

meiler Krümmel und Brunsbüttel investiert

und diese Investitionen wären jetzt wert-

los. Im Vergleich dazu steht den deutschen

Atomkraftbetreibern RWE und EON nur der

nationale Gerichtsweg offen. Sie haben eine

Verfassungsklage eingereicht, an der sich

Vattenfall ebenfalls beteiligt. Der Fall veran-

schaulicht auch, wie das Klagsprivileg ISDS

inländische Mitbewerber diskriminiert.

2013 zeigt deutlich die neue Dynamik der

Investorenklagen auf: die 57 neuen ISDS-

Fälle waren mehrheitlich gegen Industrie-

staaten gerichtet. 26 Klagen wurden gegen

EU-Mitgliedstaaten eingereicht. Allein

13 Solarenergieproduzenten haben Bul-

garien, Italien, Spanien und Tschechien

verklagt, weil die Länder die Einspeisetarife

aufgrund von Budgetrestriktionen neu gere-

gelt bzw. Steuerbegünstigungen gestrichen

haben. Wegen Umweltregulierungen wurde

einmal mehr Kanada verklagt: der kanadi-

sche Gaskonzern LonePine geht mit Hilfe

seiner US-amerikanischen Tochterfirma

gegen das Fracking-Moratorium in Quebec

vor und ein weiterer Energieproduzent be-

kämpft mit ISDS das Windpark-Moratorium

in Ontario.

Konzernjustiz statt Rechtsstaat

Von den bekannten Streitfällen wurden

274 bis 2013 abgeschlossen, wobei in fast

zwei Drittel der Fälle die Regierungen Ent-

schädigungen gezahlt oder sich auf einen

Kompromiss wie Zurückziehen oder Beugen

von angefochtenen Maßnahmen eingelas-

sen haben. Auch wenn es den Investoren

nicht immer gelingt zu obsiegen, haben die

SteuerzahlerInnen meist die teuren Verfah-

renskosten zu zahlen. Die OECD schätzt

Verfahrenskosten pro Partei auf durch-

schnittlich acht Millionen US-Dollar.

Die privaten Schiedsrichterverfahren

können sehr teuer kommen. Das bislang

teuerste Urteil mit 50 Milliarden US-Dollar

Strafzahlung plus 70 Millionen US-Dollar an

Verfahrenskosten erging im Fall Yukos gegen

Russland. Da die Urteile bindend sind, kann

allein eine Klagsdrohung abschreckend

wirken und Gesetzesinitiativen verhindern.

Uruguay wollte zuerst das neue Tabakkon-

trollgesetz zurückziehen, nachdem Philip

Morris auf Entschädigung wegen drohender

Geschäftseinbußen geklagt hat. Die öffentli-

che Empörung und ausländische Spenden

zur Prozessfinanzierung haben bewirken

können, dass Uruguay sich im Verfahren

verteidigt.

Die privaten Ad-hoc-Schiedsgerichte

entscheiden im Zuge der Entschädigungs-

klagen über die Verhältnismäßigkeit von

unter anderem Umweltschutz- und Gesund-

heitsgesetzen. Ihre Urteile werden als inkon-

sistent und undemokratisch sowie mitunter

auch parteiisch kritisiert. Die auf Investiti-

onsschutz spezialisierten ExpertInnen sind

eine kleine, eng miteinander verflochtene

Gruppe von Anwaltskanzleien. Mehr als die

Hälfte der bekannten Streitfälle wurden von

nur 15 SchiedsrichterInnen entschieden. Sie

fungieren nicht nur als SchiedsrichterInnen,

sondern vertreten die Streitparteien neben-

her auch als AnwältInnen und rufen sich in

Verfahren gegenseitig als ExpertInnen auf.

Interessenskonflikte, die das „Seitenwech-

seln“ mit sich bringen, sind eingeplant.

Kein ISDS

Staaten haben in Streitfällen nichts zu

gewinnen, sie können bestenfalls die Klage

auf Entschädigungszahlungen abwehren.

Die öffentliche Meinung zu den privaten

Schiedsgerichten ist verheerend: demo-

kratisch nicht legitimierte Geheimgerichte,

parteiliche SchiedsrichterInnen und intrans-

parente Verfahren. Selbst die LobbyistInnen

des Systems geben zu, dass Reformbedarf

bestehe und wollen mit punktuellen Verbes-

serungen wie mehr Transparenz, eine Revisi-

onsinstanz und Verhaltenskodizes die private

Schiedsgerichtsbarkeit im Kern retten. Aber

Investitionsschutz und ISDS sind ungeach-

tet der großen Kritik fixer Bestandteil der

EU-Verhandlungen zu Handelsabkommen.

Damit würden so gut wie alle ausländischen

Investoren die Sonderklagerechte bekom-

men, die die Regulierungsautonomie massiv

einschränken und unsere rechtsstaatlichen

Prinzipien unterlaufen. Das kann nur grund-

sätzlich abgelehnt werden!

£

Politik

Unser Standpunkt

ISDS ist abzulehnen, weil

¢

wir ein gut funktionierendes Rechtssystem mit

weitreichendem Eigentumsschutz haben

¢

es die Rechte der Parlamente massiv einschränkt

¢

eine Privatisierung der Gerichtsbarkeit vehement

abzulehnen ist

Die auf Investitionsschutz spezialisierten ExpertIn-

nen sind eine kleine, eng miteinander verflochtene

Gruppe von Anwaltskanzleien.

Fotos: schuh (1)