Wirtschaft & Umwelt 1/2015
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Mit dem Lissabon-Vertrag ging 2009 die
Zuständigkeit für Investitionspolitik von
den Mitgliedstaaten auf die europäische
Ebene über. Investitionsschutzbestim-
mungen sind nun fixer Bestandteil der
EU-Freihandelsabkommen. Die EU-Kom-
mission verhandelt derzeit Handels- und
Investitionsabkommen mit USA (TTIP),
Japan, Singapur, Indien, China, Vietnam,
Myanmar. Das Abkommen mit Kanada
(CETA) gilt als fertig verhandelt. Alle diese
Abkommen sollen sowohl Investitions-
schutz als auch Investor-Staat-Streit-
schlichtungsverfahren (ISDS) beinhalten.
Der Begriff Investition wird weit ausge-
legt: nicht nur Fabriken, sondern auch
Aktien, Anteile, Kredite, Konzessionen,
Lizenzen und jegliche Art von Verträgen
mit der öffentlichen Hand fallen darunter.
Als Schutz werden folgende Mindest-
standards für ausländische Investoren
verstanden, die über den verfassungs-
rechtlich abgesicherten Eigentumsschutz
hinausgehen: Der Schutz vor Diskriminie-
rung jeglicher Art; besonderer Vertrau-
ensschutz, nämlich „gerechte und billige
Behandlung“ im Gastland; freier Transfer
von Zahlungen in frei konvertierbarer
Währung; Entschädigung von Verlus-
ten bei direkter und indirekter Enteig-
nung. Unter indirekte Enteignung fallen
staatliche Maßnahmen wie Gesetze,
Verordnungen, Bescheide, Verfahren etc.,
die ähnlich wie eine Enteignung wirken
können, weil sie unter anderem nicht
kalkulierte Kosten verursachen.
Die Staaten verpflichten sich bei Enteig-
nung und Maßnahmen gleicher Wirkung
(indirekter Enteignung), auch wenn diese
im öffentlichen Interesse liegen, nicht
diskriminierend sind und nach rechts-
staatlichen Grundsätzen erfolgen, eine
umgehende und wertentsprechende
Entschädigung zu zahlen.
Meint der ausländische Investor, dass
diese privilegierten Rechte verletzt wur-
den, kann er unmittelbar ein privates Ad-
hoc-Schiedsgericht anrufen. Dieses setzt
sich meist aus drei SchiedsrichterInnen
zusammen. Die SchiedsrichterInnen sind
meist im internationalen Investitionsrecht
spezialisierte JuristInnen aus der Privat-
wirtschaft. Sie haben grundsätzlich ein
finanzielles Interesse an vielen Streitfällen
mit hohem Streitwert, wobei nur Investo-
ren, nicht Staaten, klagen können.
Hintergrund:
EU-Investitionsschutzpolitik
Gegen die befürchteten Auswirkungen von TTIP gibt es starken Widerstand
eine Enteignung wirken können,
zu leisten. Darunter fallen staat-
liche Gesetze, Verordnungen,
Bescheide, Verfahren und Ähn-
liches.
Waren die Bestimmungen ur-
sprünglich als Schutz vor Enteig-
nung durch staatliche Willkür ge-
dacht, so wird Investitionsschutz
heute von den Schiedsgerichten
sehr großzügig ausgelegt. Es ist
durchaus üblich, dass bei sich
ändernden Rahmenbedingun-
gen durch neue Umwelt- oder
Gesundheitsgesetze den aus-
ländischen Investoren Schaden-
ersatzansprüche wegen indirek-
ter Enteignung zugesprochen
werden. Die Begründung: Die le-
gitimen Erwartungen auf stabile
Rahmenbedingungen wurden
enttäuscht. Selbst entgangene
zukünftige Gewinne sind zu ent-
schädigen.
Klagen gegen Ökogesetze
Die erste Konzernklage, die
ihren Weg in die Medien gefun-
den hat, hat sich gegen ein neues
kanadisches Umweltgesetz ge-
richtet: aus Gesundheitsschutz-
gründen hat das kanadische
Parlament 1997 Einfuhr und
Transport eines giftigen Ben-
zinzusatzstoffes untersagt. Der
US-Konzern Ethyl hat daraufhin
auf Schadenersatz in Höhe von
201 Millionen US-Dollar geklagt.
In einem Vergleich verpflichtete
sich Kanada 13 Millionen US-
Dollar zu zahlen und das Verbot
zurückzuziehen. Erstmals wurde
ISDS gegen eine staatliche Re-
gulierung mit dem Argument der
indirekten Enteignung angewen-
det und war erfolgreich.
Die Urteile der privaten Ad-
hoc-Schiedsgerichte waren
auch weiterhin sehr investo-
renfreundlich, was zu einer
regelrechten Klagswelle gegen
Staaten geführt hat. Waren es
Mitte der 1990er-Jahre noch
etwa ein Dutzend Fälle, so waren
Interessante Websites zu ISDS
http://wien.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/eu/index.html
http://corporateeurope.org/international-trade www.no2isds.eu/