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Der „offizielle Normverbrauch“ bei Pkw war schon immer

problematisch. In den letzten Jahren sind aber in der

Auto-Branche schlimme Sitten eingerissen: Finetuning-

Experten im Dienste der Hersteller holen beim Zulas-

sungsprüfzyklus mit unzähligen Tricks völlig legal einen

niedrigen Normverbrauch heraus, der gegenüber realen

Bedingungen nur ca. halb so hoch sein kann. Zum

Beispiel werden Lichtmaschinen und ganze Sitzbänke

herausgenommen, die Reifen bis zum Bersten voll aufge-

pumpt und Kühlergrills aerodynamisch verklebt, damit

nur der Verbrauch sinkt.

Private Prüfinstitute, wirtschaftlich von Aufträgen der

Autohersteller völlig abhängig, machen gute Miene zum

bösen Spiel. Auf der Strecke bleibt dabei eine zentrale

Information: Wie viel verbraucht mein Auto? Bei einem

Familienfahrzeug mit durchschnittlichen Annahmen

(z.B. Renault Grand Scénic 1.6, 81 kW, 15.000 km/Jahr,

Behaltedauer: 9 Jahre. Benzinpreis: 1,18 €/l, 7,7l/100

km lt. Hersteller, Abweichung von Angaben: 20 Prozent)

fallen so locker 2.453 Euro an Mehrkosten an, die beim

Verkaufsgespräch schlicht unter den Tisch fallen. Ausge-

hebelt werden aber auch Klimaschutzziele und Kfz-Steuer,

die am Normverbrauch aufgehängt sind. Die Hersteller-

Ausrede vom individuellen Fahrverhalten ist längst wider-

legt. Aufgrund einer großen Studie mit langer Zeitreihe bei

großen Kfz-Flottenbetreibern steht fest: ein Drittel der seit

dem Jahr 2000 von Herstellern angegebenen Kraftstoff-

einsparungen existiert schlicht nur am Papier. Hersteller

müssen daher neben offiziellem Normverbrauch freiwillig

reale Verbrauchsangaben zum konkreten Pkw-Modell

vornehmen. Auf EU-Ebene darf ein neuer Prüfzyklus nicht

länger unnötig hinausgeschoben werden. Konsumenten

und Öffentlichkeit haben ein Anrecht darauf.

¨

www.ak-umwelt.at

Seite 32

Wirtschaft & Umwelt 1/2015

Kontoverse

Pro

Mag. Franz Greil

Con

Dr. Christian Pesau

Sind die Pkw-Treibstoffangaben irreführend?

Bei den jetzigen Pkw-Hersteller-

angaben bleiben Umwelt und

Verbraucher auf der Strecke.

Die Autos der Gegenwart sind

individueller als je zuvor.

Sie können den persönlichen Bedürfnissen und Vorstel-

lungen entsprechend mit neuesten Technologien und

Zusatzausstattung versehen werden. Dieser Luxus verkör-

pert die Freiheit und Individualität, welche von den Auto-

fahrerinnen und Autofahrern gefordert werden. Gleichzei-

tig trägt diese Individualisierung aber auch dazu bei, dass

standardisierte Verfahren zur Ermittlung von allgemeingül-

tigen Aussagen zunehmend schwieriger werden.

Zur Ermittlung der Verbrauchsangaben wird gegenwärtig

ein europaweit einheitliches Verfahren (NEFZ) heran-

gezogen, welches Fahrzeuge unter Laborbedingungen

testet. Dass die Angaben vom tatsächlichen Verbrauch

unter Realbedingungen sowohl nach oben als auch nach

unten abweichen können, hat mehrere Gründe. Erstens,

die Angaben beziehen sich im Regelfall nicht auf das

konkrete Auto, sondern auf ein dem Modell entsprechen-

des Labor-Prüffahrzeug. Zweitens, die Tests werden mit

Minimalausstattung durchgeführt. Zusatzausstattung und

individuelles Fahrverhalten können als Indikatoren nicht

oder nur eingeschränkt berücksichtigt werden. Die Fah-

rerin und der Fahrer müssen sich dahingehend bewusst

sein, dass sich der tatsächliche Verbrauch beispielswei-

se je nach Witterung, Beladung und Klima natürlich ver-

ändert. Auch vermehrte Brems- und Beschleunigungs-

phasen erhöhen den Verbrauch. Die Autofahrerin und der

Autofahrer haben – und das möchte ich betonen – einen

großen Einfluss auf den endgültigen Verbrauch und kön-

nen durch individuelle Fahrweise die Normwerte auch

unterschreiten. Ab 2017 soll ein weltweit vergleichbares

neues Testverfahren (WLTP) zur Anwendung kommen.

Dieser neue Messzyklus soll die Testbedingungen dyna-

mischer gestalten und so zu mehr Transparenz und einer

besseren Vermittelbarkeit nach außen führen.

¨

*Mag. Franz Greil

ist

Mitarbeiter der Abteilung

Umwelt & Verkehr der AK Wien

Dr. Christian Pesau

ist Geschäftsfüh-

rer des Arbeitskreises der Automo-

bilimporteure der Industriellenverei-

nigung.

www.autoumwelt.at

www.

iv-net.at

Fotos: Schuh (1)