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Seite 30
Wirtschaft & Umwelt 4/2016
der britische Berichterstatter im federfüh-
renden Ausschuss des EU-Parlaments,
Daniel Dalton, hat eine Streichung fast aller
Änderungen am derzeitigen Kontrollregime
empfohlen.
Die EU-Kommission hat vorerst ihre
Unterstützung für die vom VW-Skandal
geschädigten KonsumentInnen bekundet
und eine Überprüfung von EU-Verbrau-
cherschutzvorschriften angedroht. Ähnlich
dem Rechtssystem in den USA sollen diese
eine Entschädigung bekommen, wenn ein
Kauf- oder Leasingvertrag eines Autos durch
irreführende Werbung oder nicht in Über-
einstimmung mit der Konformitätsbeschei-
nigung (z.B. illegale Abschaltvorrichtungen)
zustande gekommen ist. Bekanntermaßen
haben BesitzerInnen von VW-Modellen in
den USA hierfür eine Entschädigung – je
nach Pkw-Modell – zwischen 12.500 und
44.000 US-Dollar bekommen. In Europa da-
gegen müssen FahrzeugbesitzerInnen und
Verbraucherverbände aufwendige zivilrecht-
liche Verfahren mit ungewissem Ausgang für
alle Beteiligte anstreben.
Im Gefolge des großen VW-Abgasskan-
dals konnte innerhalb kurzer Zeit zumindest
eine neue Untergrenze für die Messung von
Pkw-Abgasen festgesetzt werden.
Im Februar dieses Jahres verständigten
sich Parlament und Rat der EU darauf, dass
im realen Fahrbetrieb die Laborwerte (80mg/
km) des gemessenen Stickoxid-Ausstoßes
(NOx) bis 2021 „nur“ ums 2,1-Fache, ab
2021 immer noch um das 1,5-Fache über-
schritten werden dürfen. Diese sogenannte
„Euro 6c-Norm“ für Diesel-Pkw ist zwar ein
Kompromiss, stellt aber ab, dass auch mo-
derne Diesel-Pkw den Grenzwert meistens
um den Faktor 6 überschreiten. (Weitere De-
tails in Kasten Seite 29). Ungeklärt ist dage-
gen immer noch, ob moderne Benzin-Pkw
ebenso strenge Partikelfilter-Anforderungen
ab 2018 bekommen wie Diesel-Pkw. Weil
einer breiteren Öffentlichkeit immer noch
völlig unbekannt ist, dass die vermeintlich
„sauberen Benziner“ vor allem durch Di-
rekteinspritzung mehr Feinstaubpartikel als
„schmutzige Diesel-Pkw“ ausstoßen, leistet
die Autolobby hier zähen Widerstand.
Ein Neuanfang?
Bei der Messung von Normverbrauch und
CO
2
-Ausstoß wurde ebenfalls ein Neuanfang
gesetzt. Mit 1. September 2017 müssen alle
neuen Fahrzeugtypen bzw. spätestens bis
1. September 2018 alle Pkw-Modelle nach
dem WLTP (Worldwide Harmonized Light
Duty Test Procedure) zugelassen werden.
Diese neue Testprozedur löst den NEFZ
(Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab, der
durch „Flexibilitätsspielräume“ für Hersteller
in Verruf gekommen ist und eine Lücke von
durchschnittlich 30 bis 45 Prozent zwischen
Typenangaben und Realbetrieb beim CO
2
-
Ausstoß aufgetan hat. Der neue WLTP-
Zulassungszyklus wird diese „Wirklichkeits-
lücke“ aber auch nicht abstellen, sondern
nur vermindern. Politisch offen ist noch, ob
der WLTP mit einer realen Emissionsprüfung
ab 2019 ergänzt werden soll. Laut jüngsten
Messungen der Gemeinsamen Forschungs-
stelle (GFS) der EU-Kommission werden die
ausgewiesenen CO
2
-Zahlen dadurch um
durchschnittlich elf Prozent ansteigen, wobei
der Anstieg bei Diesel-Pkw unwesentlich
höher als bei Benzinern ausfallen wird.
Klimapolitik und Treibstoffkosten hän-
gen nicht unwesentlich davon ab, ob die
Automobilproduzenten immer verbrauchs-
ärmere Modelle auf den Markt bringen.
Per EU-Ordnungsrecht muss daher jeder
Hersteller, für alle im Jahr 2021 im EU-
Binnenmarkt verkauften Pkw maximal 95
Gramm CO
2
pro Kilometer (Verbrauch: 4,1
l/100 km bei Benzinern bzw. 3,6 l/100km
bei Diesel-Pkw) im Durchschnitt ausweisen
können. Durch den Wechsel von NEFZ auf
WLTC musste somit ein Bezugsrahmen
gefunden werden, der den Herstellern eine
„vergleichbare Stringenz“ bei den Anstren-
gungen zu CO
2
-Einsparungen auferlegt,
ohne die „exzessive Auslegung“ der Her-
steller beim NEFZ-Zyklus (vor allem externe
Aufladung der Lichtmaschine vor Prüfzy-
klus, Messtoleranz von vier Prozent, etc.)
zum Schaden von KonsumentInnen und Kli-
mapolitik nachträglich zu legitimieren. Unter
Ausschluss der Öffentlichkeit haben im Juli
2016 die Mitgliedstaaten das Software-
Tool CO2MPAS beschlossen, das ab 2017
nach WLTC-typisierte Pkw in den NEFZ
„rückübersetzt“. Über die Berechnungs-
parameter dieses Software-Moduls liegen
bis dato keine Informationen vor. Schon im
nächsten Jahr will die EU-Kommission neue
Vorschläge für CO
2
-Vorgaben an die Au-
tohersteller vorstellen, die die ehrgeizigen
EU-Klimaziele 2030 erreichbar machen sol-
len. Bleibt zu hoffen, dass diese Ziele nicht
schon wieder durch technische Details bei
der Messung konterkariert werden.
£
Politik
Unser Standpunkt
Abgasbetrug ist kein Kavaliersdelikt, daher
¢
Klarheit für KonsumentInnen und Umwelt:
Spritverbrauch und Abgaswerte müssen stimmen
¢
Abschreckende Strafen bei Abgasschwindel
¢
Kein Vertrauen ohne Kontrolle: Marktüberwachung bei
Pkw vor und nach dem Fließband
¢
Entschädigung für KonsumentInnen bei Abgasschwindel
Eine einzige Prüfbehörde auf EU-Ebene könnte
mit wenigen Pkw-Kontrollen viel für Umwelt und
VerbraucherINNEN erreichen.
FOTOS: AK Steiermark (1)