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Wirtschaft & Umwelt 4/2016
Seite 29
Was sind „gewöhnliche Fahrbedingun-
gen“ und wann gefährden Abgasvorrich-
tungen die „Sicherheit des Motors“? An
dieser Frage offenbart sich das Ausmaß
von Lobbyismus in den EU-Vorschriften
in der vollen Tragweite. Manche Herstel-
ler (vor allem Opel, Ford, Renault)
interpretieren laut Messungen des
deutschen Kraftfahrbundesamtes den
EU-Grenzwert von 80 mg/km NO
x
so,
dass der Katalysator bei einer Außentem-
peratur unter 17 Grad abgeschaltet
werden kann („Thermal-Fenster“). Zur
Orientierung: Das Flächenmittel bei der
Außentemperatur in Österreich beträgt
sechs Grad. Der FIAT-Chrysler-Konzern
legt gewöhnliche Fahrbedingungen gar
so aus, dass nach 22 Minuten (= Dauer
des derzeitigen Prüfzyklus) der Katalysa-
tor „moduliert“ (sprich: rückgefahren)
werden kann („Sanduhr-Auslegung“). Alle
Hersteller schaffen aber allen physikali-
schen Gesetzen zum Trotz, dass ihre
Motoren beim Start in kaltem Zustand
weniger emittieren als im warmen
Zustand. Ein Schelm also, wer trügeri-
sche Software bei der Motorsteuerung
am Werk vermutet.
Autohersteller beweisen mit einzelnen
Modellen auch, dass sie im Realbetrieb
den NOx-Grenzwert durchaus einhalten
und den US-Markt beliefern können.
Inzwischen haben Hersteller klammheim-
lich eingewilligt, „freiwillige Rückrufak-
tionen“ vorzunehmen. Die „Sicherheit
des Motors“ kann also durch einen
voll funktionsfähigen Katalysator nicht
gefährdet werden, wenn auf der Straße
nicht gerade „Wohnzimmertemperaturen“
vorherrschen. Das wahre Problem ist
eher ein Kostenproblem: Ein voll funkti-
onstüchtiger Katalysator („SCR-Technik“)
kostet in der Anschaffung rund 200 Euro
mehr und erfordert kürzere Service-
Intervalle. Die EU-Kommission will daher
den Herstellern nicht mehr glauben und
ein Vertragsverletzungsverfahren gegen
vier Mitgliedstaaten einleiten, die diese
beschützen. Für die Gesundheit und die
EU-Immissionsgrenzwerte bei NO
2
zäh-
len aber nur reale Emissionen. Geschwin-
digkeitsbeschränkungen – „Luft-100er“
auf Autobahnabschnitten, in Salzburg
sogar ein „Luft-80er“ – aufgrund des
Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) sind
zwangsläufig die Konsequenz.
AutoproduzentInnen
„Gewöhnliche Betriebsbedingungen“
gewinnorientierten öffentlichen
Prüfanstalten weggespart hat
und eine materielle Überprüfung
von Gutachten gänzlich unmög-
lich macht.
Die EU-Kommission hat als
Reaktion einen Verordnungs-
vorschlag für mehr Marktüber-
wachung und eine strengere
Typenzulassung von Pkw vorge-
legt. Demnach müssen nationale
Behörden die Herstellerangaben
erstmals tatsächlich überprüfen,
wenn der Pkw das Fließband
verlassen hat (Konformität) bzw.
ob die bereits vorgeschriebe-
nen Emissionsgrenzwerte für
160.000 km (in-use-compliance)
auch tatsächlich eingehalten
werden. Technische Prüfinstitute
sollen einer rigorosen Qualitäts-
prüfung auf EU-Ebene unterzo-
gen und durch Gebührenvor-
schreibungen von der Abhän-
gigkeit der Autohersteller befreit
werden. Wirklich viel verändern
könnten aber die Kontrollrechte
für die EU-Kommission, die auf-
grund besonderer Verdachts-
momente in den Mitgliedstaaten
aktiv werden kann: Strafen bei
Abgasbetrug (z.B. Verwendung
von trügerischer Software und
Abschaltvorrichtungen) sollen
ähnlich dem Wettbewerbsrecht
künftig abschreckend sein und
bis zu 30.000 Euro pro vor-
schriftswidrigem Fahrzeug oder
Fahrzeugteil betragen.
Kein fairer Deal in Sicht
Die Gesetzgeber im Rat und
EU-Parlament haben die Ver-
handlungen dazu erst begon-
nen. Es ist aber anzunehmen,
dass der Vorschlag nicht ohne
Abstriche beschlossen werden
wird. Obwohl die Mitgliedstaa-
ten eindrucksvoll bewiesen
haben, dass sie der Sache in
keinster Weise gewachsen sind,
bekämpfen sie vor allem Kont-
roll- und Durchgriffsrechte der
EU-Kommission massiv. Auch
Aufschlussreich
Im Untersuchungsausschuss des EU-Parla-
ments (EMIS) sind Akteure zu Pkw-Emissionen
befragt worden. Dokumente und Video-Auf-
zeichnungen unter:
www.europarl.europa.eu/committees/de/emis/home.html