I
m Frisörsalon „Hair by Bruno“ im
fünften Bezirk ist viel los. Eine der
fleißigen Frisörinnen ist Havva Sim-
sek. Die 18-Jährige hat vor einem
Jahr ausgelernt und erhält in diesem
Monat ihre erste Lohnerhöhung. Die
Freude darüber währte aber nicht lange.
Von 42 Euro mehr brutto bleiben ihr gera-
de einmal 23 Euro mehr netto im Börsel.
„Ich bekomme zwar ein paar Euro mehr,
aber draußen wird ja auch alles teurer“,
sagt die junge Frau. Im Grunde wird also
das, was der Frisörin vom Lohn-Plus übrig-
bleibt, von der Inflation und der Lohnsteuer
geschluckt.
Wenn ArbeitnehmerInnen nur aufgrund
eines Inflationsausgleichs eine höhere
Lohnsteuer bezahlen müssen, dann heißt
das „kalte Progression“. Sie zahlen also
nach einer Lohnerhöhung einen höheren
Steuersatz als vorher. Das bringt dem Staat
pro Jahr 500 Millionen Euro mehr, so die
Schätzung der WirtschaftsforscherInnen.
Für Renate Wunderl ist das
eine Ungerechtigkeit. Die 50-Jäh-
rige ist seit 20 Jahren bei Zielpunkt
angestellt. Ohne Überstunden
bringt ihr die letzte Gehaltserhöhung
netto 27 Euro mehr. Das ist nichts im
Vergleich zur letzten Mieterhöhung.
„Wir zahlen zu hohe Steuern“
Die Miete von Renate Wunderl hat ange-
zogen: 85 Euro mehr muss sie im Monat
zahlen, weil das Haus saniert wird: „Ich
muss jeden Cent umdrehen. Miete,
Strom, Lebensmittel – alles wird teurer.“
Die Angestellte wünscht sich weniger
Steuerlast.
„Wir zahlen zu hohe Lohnsteuern“, sagt
auch Heinz Reichenpfader, Facharbeiter
bei Opel Wien. Auch von seiner Lohnerhö-
hung von knapp 84 Euro brutto bleibt ihm
(ohne Überstunden) weniger als die Hälf-
te: knapp 39 Euro. „Die Erhöhung spür ich
nicht. Schließlich wird auch alles andere
4
AK FÜR SIE 05/2014
Noch Fragen?
wien.arbeiterkammer.at
Die Steuer frisst
unsere Löhne!
Schöne Lohnerhöhungen brutto – aber netto
nur ein Mini-Plus: Die ArbeitnehmerInnen
wünschen sich eine Steuerentlastung.
Mehr netto!
Steuer:
Wer wie viel zahlt
Die Einnahmen des Staates aus der
Lohnsteuer steigen rasant.
Dagegen
fällt der Anstieg bei der Körperschafts-
steuer, der Gewinnsteuer etwa für Aktien-
gesellschaften und GmbH, eher gemäch-
lich aus. Mit ein Grund für die Schieflage:
Mit jeder Lohnerhöhung steigt für die
ArbeitnehmerInnen der Steuersatz – und
von der schönen Brutto-Lohnerhöhung
bleibt nettto bestenfalls ein Ausgleich der
Inflation. Die Grafik zeigt die Schieflage.
Quelle: Statistik Austria, Nationalbank, eigene Berechnungen
2006 2007 2008
21,3
5,9
2009
19,9
3,8
2010
2012
2011
2013
24,6
6,0
20
15
25
10
5
0
■
Lohnsteuer
■
Körperschaftssteuer
Steuereinnahmen
in Milliarden Euro
FRISÖRIN
Havva Simsek
ist enttäuscht von dem, was von ihrer
ersten Lohnerhöhung wirklich übrigbleibt.
„Draußen wird ja auch alles teurer“, sagt
die 18-Jährige.
Lohnerhöhung brutto
+42,-
Sozialversicherung
- 6,-
Steuer ohne kalte Progression - 6,-
kalte Progression
Lohnerhöhung netto
+23,-