Wirtschaft & Umwelt 4/2015
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Diese Krise betrifft die Ressourcen-
basis der globalen Gesellschaften (ins-
besondere ihre Abhängigkeit von fossi-
len Brennstoffen wie Kohle und Öl) und
die Folgen aus ihrer Nutzung, geht aber
darüber hinaus. Einmal werden auch
Wechselwirkungen mit anderen Pro-
zessen zunehmend zum Problem, wie
vor allem mit Fragen der Landnutzung
und dem Verlust der Biodiversität, mit
geänderten Niederschlagsmustern und
der Wasserverfügbarkeit u.v.a.m. Dabei
sind Verteilungsfragen impliziert, denn
es gibt keineswegs nur Verlierer.
Die Interessengegensätze zwischen
den gesellschaftlichen Sektoren, die
die Nutzung fossiler Brennstoffe voran-
treiben, und klimafreundlicheren Sek-
toren und Lebensweisen, lassen sich
nicht durch moralische Appelle aus der
Welt schaffen. Verteilungsfragen sind
dabei eng mit Fragen der Gerechtig-
keit verbunden, denn betroffen von den
Klimafolgen sind oftmals nicht die
Profiteure aus der Nutzung fossiler
Energien, sondern in erster Linie är-
mere Bevölkerungskreise, die weni-
ger zum Klimawandel beitragen. Dies
gilt sowohl im nationalen als auch im
internationalen Rahmen, wo – nach
einer Faustformel – 20 Prozent der rei-
chen Industrieländer für 80 Prozent des
Treibhausgasausstoßes verantwortlich
sind.
Dagegen treffen die Folgen vor allem
die ärmeren Länder und Bevölkerungs-
kreise, die wenig zur Erderwärmung
beigetragen haben. Fragen sozialer
Verwundbarkeit sind also zentral, denn
es sind wirtschaftliche, soziale und po-
litische Faktoren, die letztlich dafür ver-
antwortlich sind, wie bestimmte Grup-
pen unter den Klimafolgen zu leiden
haben.
Zudem wird auch unser Verständ-
nis von „Natur“ und „Gesellschaft“
und damit das Selbstverständnis von
Gesellschaften zunehmend in Frage
gestellt. Insbesondere wirtschaftliches
Wachstum und die etablierte Form der
Produktion von Reichtum wird unter
Begriffen wie Post-Wachstum oder De-
Growth kritisiert. Zugespitzt: Wie kann
das „Gute Leben für alle“ angesichts
der Klimaveränderungen erreicht wer-
den? Soziale Bewegungen und Netz-
werke fordern seit einigen Jahren auf
internationaler Ebene unter der Forde-
rung nach Klimagerechtigkeit (Climate
Justice) die offizielle Klimapolitik her-
aus und klagen gerechtere globale Na-
tur- wie gerechtere soziale Verhältnisse
ein. Diese Kritik richtet sich nicht mehr
vordringlich an die internationale Kli-
madiplomatie, sondern versucht direkt
vor Ort anzusetzen, sei es in konkreten
Projekten wie alternativen Produktions-
und Lebensweisen, sei es im Wider-
stand z.B. gegen die weitere Nutzung
der Kohle.
Klimapolitik in der Krise
Auf internationaler Ebene kollidiert
die Klimapolitik notwendig mit an-
deren Politikfeldern. Salopp gesagt
wird bei internationalen Umweltab-
kommen immer auch die Energie-,
Wirtschafts-, oder Handelspolitik „mit-
verhandelt“ – und das oftmals in kon-
traproduktiver Weise. Für den Erfolg
dieser Abkommen ist also weniger die
gute (wissenschaftliche) Begründung
entscheidend als vielmehr die relative
Macht der Akteure in den verschiede-
nen Politikfeldern. Insbesondere bei
Spannungen zwischen Umwelt- und
(Frei-)Handelsabkommen ist das ent-
scheidend. Man spricht daher schon
länger von einer fragmentierten
Die Interessengegensätze zwischen den
gesellschaftlichen Gruppen lassen sich nicht
durch moralische Appelle aus der Welt schaffen.
Klima: Schlüsselbegriffe
Sybille Bauriedl (Hg.): Wörterbuch Klimadebatte. transcript-Verlag,
Bielefeld 2015. Eine kritische Analyse von 40 Schlüsselbegriffen des
Klimadiskurses.
Klimawandel verschärft die soziale Ungleichheit
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