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Seite 22

Wirtschaft & Umwelt 4/2016

I

n der EU sterben jährlich etwa

1,2 Millionen Menschen an

Krebs. Davon sind etwa 65.000

bis 100.000 Fälle darauf zurück-

zuführen, dass ArbeitnehmerIn-

nen bei ihrer Arbeit krebser-

zeugenden Stoffen ausgesetzt

waren. Das sind etwa 20-mal so

viele Todesfälle wie in Folge von

Arbeitsunfällen. Ein Drittel bis

die Hälfte dieser Fälle wurden al-

lein durch Asbest ausgelöst. As-

best ist heute praktisch in allen

Anwendungsbereichen verbo-

ten. Aber noch immer kommt es

zu neuen Krebserkrankungen,

die auf einer Exposition gegen-

über Asbest vor vielen Jahren

beruhen. Denn zwischen dem

Kontakt mit krebserzeugenden

Stoffen und dem Ausbruch der

Krankheit kann sehr viel Zeit

verstreichen. Diese Zeitspanne

wird als Latenzzeit bezeichnet.

Sie beträgt in vielen Fällen zwi-

schen 30 und 50 Jahren.

Das bedeutet, dass eine

Krebserkrankung, die heute

diagnostiziert wird, auf eine

Exposition gegenüber einem

krebserzeugenden Arbeitsstoff

in den 1970er Jahren zurückge-

hen kann. Dies erklärt, warum

die Dunkelziffer bei den berufs-

bedingten Krebserkrankungen

sehr hoch ist. Denn in vielen

Fällen ist gar nicht mehr

bekannt, welche Chemikalien

seinerzeit am Arbeitsplatz ver-

wendet wurden.

Schwierige Beweislage

Wird bei älteren Arbeitneh-

merInnen eine Krebserkrankung

diagnostiziert, so fällt nämlich

der Verdacht nur in bestimmten

Fällen auf die berufliche Exposi-

tion. Erkrankt etwa eine Person,

die stets in einer Tischlerei ge-

arbeitet hat, an einem Adeno-

karzinom im Nasenbereich, liegt

Holzstaub als Verursacher nahe.

Das Auftreten eines Mesotheli-

oms (einer Krebserkrankung des

Rippenfells) ist mit an Sicherheit

grenzender Wahrscheinlichkeit

die Folge einer Exposition ge-

genüber Asbest. Tritt bei einem

früheren Bergmann, der bereits

an einer Staublunge erkrankt

ist, noch Lungenkrebs hinzu,

so muss davon ausgegangen

werden, dass Quarzstaub der

Auslöser ist.

In anderen Fällen aber ist

die Lage weniger deutlich. Wer

erinnert sich schon, dass das

Lösungsmittel, das im metall-

verarbeitenden Betrieb vor 40

Jahren zur Entfettung verwendet

wurde, Trichlorethylen enthielt

und daher als Auslöser für einen

Nierenkrebs in Frage kommt?

Wer weiß heute noch, welche

Chemikalien in der Textilfabrik

eingesetzt wurden, und denkt

daran, dass sie das Harnbla-

senkarzinom verursacht haben

können, das gerade diagnos-

tiziert wurde? Noch schwerer

wird das Forschen nach Ursa-

chen, wenn ArbeitnehmerInnen

früher in einem anderen Staat

gearbeitet haben.

Für die Betroffenen geht es

darum, die bestmögliche me-

dizinische Versorgung zu be-

kommen. Aus verschiedenen

Gründen, nicht zuletzt auch

finanziellen, ist eine Anerken-

nung der Erkrankung als Berufs-

krankheit wichtig.

Darüber hinaus müssen die

Bestrebungen im Arbeitneh-

merInnenschutz aber dahin

gehen, dass es gar nicht zu

*Dr. Christoph Streissler

ist

Chemiker und Mitarbeiter der

Abteilung Umwelt & Verkehr

der AK Wien.

FOTOS: Schuh (2)

Anerkennung von Berufskrankheiten

Die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit kann schwie-

rig und belastend sein. Roland Spreitzer (AK Oberösterreich)

beschreibt den Reformbedarf:

http://blog.arbeit-wirtschaft.at/fuer-

eine-zeitgemaesse-anerkennung-von-berufskrankheiten

Krebserzeugende Arbeits-

stoffe: Besserer Schutz

Die Zahl der Menschen, die an Krebs sterben, weil sie im Laufe

ihres Lebens bei der Arbeit krebserzeugenden Chemikalien ausge-

setzt waren, ist viel höher als die Zahl tödlicher Arbeitsunfälle.

Wo sind Ansatzpunkte, um diese Situation zu verbessern?

Von Christoph Streissler*

Betrieb

Kurzgefasst

Die Zahl an Krebserkran-

kungen wegen Belastun-

gen mit Chemikalien am

Arbeitsplatz ist immer

noch erschreckend

hoch. Ziel des europä-

ischen und des öster-

reichischen Arbeitneh-

merInnenschutzes muss

es sein, die Exposition

gegenüber diesen Stof-

fen so weit wie möglich

zu senken.