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AK FÜR SIE 04/2017
Ich brauch’
einen Lehrplatz
Für alle, die heuer das neunte Schuljahr ab-
schließen, gilt die Ausbildungspflicht – obwohl
die Betriebe zu wenige Lehrstellen bieten.
Glabuen Aus ildung
M
it einem Lötkolben brennt
Jessica ein Muster in ein
Stück Holz. Die 15-Jährige
hat sichtlich Spaß: „Ich lie-
be es, mit den Händen zu
arbeiten.“ Seit knapp drei
Wochen besucht Jessica den Feinmecha-
nik-Kurs im Projekt Jugend-
werkstatt. Jugendliche, die
vor dem Lehreinstieg Ori-
entierung brauchen, kön-
nen sich hier in drei Spar-
ten zwei Monate lang
ausprobieren.
Jessica ist seit knapp
einem Jahr auf Lehrstellen-
suche. Sie wusste lange nicht, was sie
werden will. Vor dem Feinmechanik-Kurs
hat sie in der Friseurwerkstatt ihren Traum-
beruf entdeckt: „Als Friseurin habe ich
auch noch den direkten Kontakt zu den
Kunden. Deswegen bewerbe ich mich
derzeit intensiv für eine Friseurlehre.“
Einen Traumberuf für sich zu entde-
cken ist das eine, eine Lehrstelle in diesem
Beruf zu bekommen das andere. Vor neun
Jahren, im Februar 2008, hatten die Unter-
nehmer noch 40.000 Lehrlinge im ersten
Lehrjahr, jetzt nur mehr 28.000. Für Edith
Kugi, Lehrlingsschützerin in der Arbeiter-
kammer, ein unzumutba-
rer Zustand: „Die Betrie-
be sollen wieder qualitativ
ausbilden und nicht nur
nach qualifizierten Mitar-
beiterinnen und Mitarbei-
tern schreien.“
Das ist dringend nö-
tig. Denn für alle, die heu-
er das neunte Schuljahr abschließen, gilt
eine Ausbildungspflicht bis 18.
Alle auf Suche
Erschwert wird die Lage auf dem Lehrstel-
lenmarkt durch die immer größere Anzahl
an SchülerInnen, die nach der ersten oder
zweiten Klasse einer HAK, HTL, Fach-
oder Handelsschule austreten und dann
auch eine Lehrstelle brauchen. Zum Bei-
spiel der 18-jährige Philipp. Er hat vor
wenigen Wochen die HTL abgebrochen.
Jetzt ist er in der Jugendwerkstatt.
Philipp ist „froh, hier zu sein. Denn ehr-
lich gesagt wusste ich nicht, was ich nach
dem Abbruch der Schule hätte machen
sollen. Hier kriege ich ein Gefühl für gewis-
se Berufe, und das erleichtert es mir, eine
für mich passende Lehrstelle zu suchen“.
Schule kann helfen
„An den berufsbildenden Schulen macht
nur etwa die Hälfte der Schülerinnen und
Schüler den Abschluss in der vorgesehe-
nen Zeit“, sagt Renate Belschan-Casa-
grande, Bildungsexpertin in der Arbeiter-
kammer. Auch die Schulen müssten mehr
tun, damit mehr AnfängerInnen durchkom-
Fotos: Lisi Specht
Foto: Sebastian Philipp
Marc René und Luca
in der HTL 10 (von
links): Musterpro-
jekt Übergangsstufe
hilft ihnen, Defizite
in den Hauptgegen-
ständen auszubü-
geln – und nächstes
Jahr in der regulären
ersten Klasse durch-
zustarten
„Recht auf Ausbildung“
„Ausbildungspflicht ohne ein Recht auf Ausbildung geht
nicht“,
sagt AK Präsident Rudi Kaske. Er will „nicht einsehen,
dass es zu wenige Lehrstellen gibt und dass viel zu viele aus den
berufsbildenden Schulen fliegen“.
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„Die Unternehmen müssen wieder mehr Lehrstellen
schaffen“,
fordert Kaske. In der Lehrausbildung selbst sei ver-
pflichtendes Qualitätsmanagement überfällig: „Es muss endlich
Schluss damit sein, dass praktisch alle Lehrlinge die Berufsschu-
le positiv abschließen, aber mehr als ein Fünftel beim ersten
Antritt zur Lehrabschlussprüfung durchfällt oder aus Angst davor gar nicht hingeht.“
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In den Schulen muss mehr getan werden,
damit weniger als bisher nach dem ersten
Jahr in einer HTL, HAK, Fach- oder Handelsschule wieder hinausfliegen, verlangt Kaske.
„Betriebe sollen aus-
bilden und nicht nur
nach qualifizierten
Mitarbeitern schreien.“
Edith Kugi-Mazza,
Lehrlings-
schützerin in der Arbeiterkammer
AK Präsident Rudi Kaske
fordert mehr Plätze in
Lehre und Schule