nische Sozialphilosophin Martha Nuss-
baum beschäftigte sich bereits in den
1980er Jahren unter Berufung auf Aris-
toteles mit den menschlichen Grundfä-
higkeiten, die es im Sinne einer Ethik des
guten Lebens zu entwickeln gilt. Dazu
zählt sie neben guter Gesundheit, einer
angemessenen Unterkunft und Ernäh-
rung u.a. auch die Entwicklung eigener
Vorstellungen von einem guten Leben
(Beruf, politische Teilhabe), die schöpfe-
rische Entfaltung der eigenen Phantasie,
den Aufbau emotionaler und bedeuten-
der Beziehungen zu Mitmenschen so-
wie die Verbundenheit mit der Natur. Die
individuellen Möglichkeiten sind dabei
sowohl von inneren Bedingungen – ins-
besondere der nötigen Bildung des eige-
nen Geistes und Charakters – als auch
von externen Voraussetzungen – also
dem Zugang zu wertvollen gesellschaft-
lichen Gütern – abhängig.
Ökonomie des guten Lebens
Die „Ökonomie des guten Lebens“
wurde zuletzt vom Wirtschaftshistoriker
Robert Skidelsky und seinem Sohn Ed-
ward in ihrem vielbeachteten Plädoyer
gegenWachstumum jeden Preis amde-
tailliertesten ausformuliert. Am Beginn
Fotos: Schuh (1)istockphoto/kate_sept2004 (1)
werkstatt, Attac, BEIGEWUM, u.a.
den Titel der Berliner Tagung für eine
Veranstaltungsreihe und eine Sonder-
ausgabe der Zeitschrift „Kurswechsel“.
Das gute Leben steht damit in einem
Zusammenhang mit ähnlichen Vorstel-
lungen einer erstrebenswerten Zukunft,
wie sie von der – stärker akademisch
verankerten – Postwachstumsbewe-
gung oder den ProponentInnen einer
sozial-ökologischen Transformation
vertreten werden. Der Reiz der Diskus-
sion ist, dass sie nicht primär vor den
biophysikalischen Grenzen unserer Le-
bensweise warnt, sondern die Erfüllung
menschlicher Bedürfnisse ins Zentrum
rückt. Damit grenzt sie sich auch von
der Diskussion zu „Green Growth“ ab,
die zur Entschärfung der ökologischen
Krise auf eine Erhöhung der Ressour-
cenproduktivität durch technologische
Innovation setzt, aber die sozialen Vor-
aussetzungen unserer Produktions- und
Wirtschaftsweise kaum thematisiert.
Der Diskurs zum guten Leben entwirft
Bilder einer solidarischen Gesellschaft,
in der das vorrangige Ziel der Politik die
Erhöhung der Lebensqualität aller ist.
Mit der Sorge um Umwelt- und Klima-
schutz soll gleichsam die Hoffnung auf
eine menschenwürdigere Zukunft reak-
tiviert werden.
Entfaltung statt Wachstum
Verglichen mit den europäischen
Nachkriegsjahrzehnten geht es heute
um ein breiteres Verständnis von gesell-
schaftlicher Wohlfahrt. Nach der Sätti-
gung der wichtigsten Konsumbedürf-
nisse breiter Teile der westlichen Gesell-
schaften kamen neue Debatten auf, wie
sich gesellschaftliche Wohlfahrt messen
lässt (siehe Kasten Seite 13) und was ein
gutes Leben ausmacht. DieUS-amerika-
➔
*
Unser Standpunkt
Ein gutes Leben für alle erfordert
¢
gleichen Zugang zu Bildung, Gesundheit, Wohnraum
und Mitbestimmung
¢
faire Verteilung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit
und Freizeit
¢
soziale Infrastruktur und ökologische Modernisierung
¢
gleichmäßigere Verteilung von Einkommen
und Vermögen
Förderung von Phantasie und Talenten ist Teil eines guten Lebens
Schwerpunkt
Gutes Leben
für alle
www.ak-umwelt.atSeite 12
Wirtschaft & Umwelt 2/2015