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Die Antworten auf diese Fragen dürften

sich nicht zuletzt je nach Entstehungsge-

schichte der ungleichen Verteilung von

Belastungen unterscheiden. Sank die

Wohn- und Umweltqualität gemeinsam

mit allgemeinen Erscheinungen städti-

schen Verfalls? Oder wurden belastende

Anlagen gezielt an Orten angesiedelt, an

denen wenig Widerstand zu erwarten

ist? Haben Betroffene aufgrund niedriger

Immobilienpreise ihren Wohnort freiwillig

in Flughafennähe gewählt?

Preisendörfer (siehe Fußzeile Seite

11) zufolge ist dann ein gewisses Maß an

Ungerechtigkeit zu vermuten, wenn

• die sozial-räumlichen Ungleichheiten

besonders ausgeprägt sind oder

• die Umweltbelastungen jenseits zu-

mutbarer Niveaus liegen,

• eine Kumulation von Nachteilen be-

steht (bspw. kein Ausgleich durch kurzen

Arbeitsweg),

• das subjektive Wohlbefinden maß-

geblich beeinträchtigt ist,

• NutznießerInnen und Betroffene der

Belastung auseinanderfallen,

• die Betroffenen nicht ausweichen

können oder

• über unzureichende Mitwirkungs-

bzw. Mitgestaltungsmöglichkeiten ver-

fügen.

Die Bewertung der relevanten Varia-

blen bleibt dennoch komplex. Wie soll

berücksichtigt werden, dass Arbeitslose

meist mehr Zeit am Wohnort verbringen

als Berufstätige? Wie werden subjektive

Einschätzungen im Vergleich mit objek-

tiven (Umwelt-)Daten gewichtet? Letzt-

endlich liefern die betrachteten Überle-

gungen immer nur Hinweise für weiter-

führende Diskussionen.

Erweiterung des Blicks

Die dargestellte Diskussion zu „en-

vironmental justice“ fokussiert häufig

auf die kleinräumige Verteilung von

Umweltbelastungen. Intergeneratio-

nale und internationale Aspekte sowie

die Nutzung von (globalen) Umwelt-

gütern werden seltener in den Blick

genommen. Es scheint aber durchaus

lohnend, die Perspektive zu öffnen.

Insbesondere vor dem Hintergrund der

Weltklimaziele stellt sich nicht nur die

Frage, welche Gesellschaften einen zu

hohen Ausstoß an Treibhausgasen ha-

ben, sondern auch, für welche sozialen

Gruppen das in besonderem Maße gilt.

Global 2000 hat bereits 2008 eine Stu-

die zu „Sozialen Aspekten von Climate

Change Impacts in Österreich“ beauf-

tragt. Diese zeigte, dass Wohlhabende

aufgrund ihres Urlaubs- und Mobilitäts-

verhaltens und wegen der Brennstoffe,

die sie in ihren Heizsystemen einsetzen,

einen überproportionalen Beitrag zum

Klimawandel leisten. Ärmere sind aber

von klimawandel- und klimapolitikbe-

dingten Preissteigerungen bei Energie

und Nahrungsmitteln stärker betroffen.

Darüber hinaus können sie sich Inves-

titionen zur Steigerung der Energieeffi-

zienz – thermische Sanierung, energie-

effiziente Geräte – oftmals nicht leisten.

Auch die Statistik Austria hat sich in

letzter Zeit systematisch mit den Zu-

sammenhängen zwischen Einkommen

und ausgewählten Umweltaspekten be-

schäftigt. So wurden 2014 in einer um-

fassenden Studie erstmals die umwelt-

bezogenen Beobachtungen des Mikro-

zensus mit Einkommensdaten aus der

EU-Statistik über Einkommen und Le-

bensbedingungen (EU-SILC) verschnit-

ten. Dabei zeigte sich nicht nur, dass ein-

kommensschwächere Gruppen stärker

unter lokalen Umweltbelastungen leiden

(siehe Beitrag Seite 14), auch der Kon-

sum von biologisch erzeugten Lebens-

mitteln ist weniger verbreitet. Gleich-

zeitig sind sie stärker auf die Nutzung

öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen.

Die Einkommensverteilung bestimmt

also schon heute über den Zugang zu

gesunden Wohnverhältnissen, Mobili-

tätsformen, hochwertigen Lebensmitteln

und Energie. Nicht zuletzt angesichts der

geplanten massiven Reduktion des Aus-

stoßes von Treibhausgasen in der relativ

nahen Zukunft sind klimapolitisch moti-

vierte Maßnahmen – wie Abgabenände-

rungen und Förderungen (siehe Beitrag

Seite 18) – daher stets auf ihre Vertei-

lungs- (und Beschäftigungs-)wirkungen

zu prüfen.

¨

Modellprojekt in Berlin

Umweltgerechtigkeitsmonitoring

Die Stadt Berlin hat ab dem Jahr

2008 in einem ressortübergreifenden

Modellprojekt die Grundlagen für

die Verknüpfung von Umwelt- und

Gesundheitspolitik geschaffen. Im

Fokus stehen neben gesundheits-

relevanten Umweltbelastungen die

soziale Problemdichte auf Quartiers­

ebene sowie die Vulnerabilität im

Zusammenhang mit dem Klimawan-

del. Die Erhebung und Aufbereitung

der Daten zu den ausgewählten

Themenkomplexen erfolgt dabei in

enger Abstimmung mit Forschungs-

einrichtungen und dem regionalen

Statistikamt. Von 2010 bis 2013

wurde damit erstmals in Deutsch-

land auf städtischer Ebene ein

„Umweltgerechtigkeitsmonitoring“

implementiert. Darin werden quar-

tiersbezogene Daten zu Bioklima,

Luftqualität, Lärmbelastung und

Grünraumversorgung mit Daten zur

sozialen Problemdichte verschnitten.

Gesundheitsdaten zu Adipositas im

Einschulungsalter, vorzeitiger Sterb-

lichkeit und Krebs(neu)erkrankun-

gen, aber auch Daten zur Bau- und

Stadtstruktur werden ergänzend

miteinbezogen. Aus der kleinräumi-

gen Belastungsanalyse sollen in der

Folge Ausgleichskonzepte entwickelt

und im Rahmen der stadtpolitischen

Handlungsmöglichkeiten – von der

Flächennutzungsplanung bis zum

innerstädtischen Finanzausgleich –

auch umgesetzt werden.

Für nähere Informationen siehe:

www.stadtentwicklung.berlin.de/

umwelt/umweltatlas/i901.htm

Environmental Justice: Vom politischen

Schlagwort zum Rahmen für wissen­

schaftliche Untersuchungen.

www.arbeiterkammer.at

Wirtschaft & Umwelt 3/2016

Seite 13