Wirtschaft & Umwelt 4/2015
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EuGH:
Einmal ein Erzeugnis –
immer ein Erzeugnis
Der EuGH hat in einem Vorab
entscheidungsverfahren zu
einer wichtigen Frage der
REACH-VO entschieden.
Die REACH-Verordnung
enthält eine Verpflichtung von
Händlern, Konsumenten auf An-
frage mitzuteilen, ob in einem
Erzeugnis besonders besorg-
niserregende Stoffe in einem
Ausmaß von über 0,1 Prozent
enthalten sind. Beispielsweise
muss ein Reifenhändler Aus-
kunft geben, ob in dem Auto-
reifen krebserzeugende poly-
zyklische aromatische Kohlen-
wasserstoffe (PAK) zu mehr als
0,1 Prozent des Gewichts ent-
halten sind. Seit langem gab es
bezüglich komplexer Produkte
unterschiedliche Auslegungen:
Wenn die Reifen als Teil eines
ganzen Autos verkauft werden
– bezieht sich die 0,1 Prozent-
Grenze dann auf das Gewicht
des Reifens oder des Autos?
Im zweiten Fall könnten die
Reifen ein Kilogramm PAK ent-
halten, ohne dass die Händler
es dem Konsumenten mitteilen
müssten.
Nun hat der EuGH in einem
Vorabentscheidungsverfah-
ren diese Frage entschieden
(Rechtssache C‑106/14) – und
er hat sie im Sinne eines hohen
Schutzniveaus entschieden. Der
Reifen bleibe ja ein Erzeugnis,
auchwennerineinanderes,kom-
plexeres Erzeugnis eingebaut
werde. Daher gelte die Grenze
für jedes Teilerzeugnis. Damit
wird eine Sichtweise bestätigt,
die Österreich gemeinsam mit
anderen, fortschrittlicheren
Mitgliedstaaten in dieser Frage
gegenüber der EU-Kommission
und der Europäischen Chemie-
agentur (ECHA) stets vertreten
hatte.
CS
Interview: Nitrat im Trinkwasser
Schutz des Grundwassers vor Nitrat
Mit einer Eingabe beim Landwirtschaftsministerium zur Änderung des Nitrat
aktionsprogramms will der Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland
eine Verbesserung des Grundwassersschutzes vor Nitrat erreichen.
Wir fragten dazu
DI Dr. Helmut Herlicska.
Ist das Grundwasser derzeit gesetzlich
vor dem Eintrag von Nitrat und Pestizi-
den geschützt?
Herlicska:
Der Grundwasserschutz vor
Nitrat und Pesitziden beruht auf dem
Wasserrechtsgesetz und entsprechenden
Verordnungen. Den Schutz vor Nitrat aus
landwirtschaftlichen Quellen regelt das
Nitrat-Aktionsprogramm auf Basis der
EU-Nitratrichtlinie. Vor allem in Ostöster-
reich zeigen Nitrat-Grundwasserbelastun-
gen, dass die vorhandenen Regelungen
bislang einen nachhaltigen Grundwasser-
schutz nicht gewährleisten. Besonders
das Nordburgenland kämpft vielfach mit
hohen Nitrat-Belastungen, welche ein
Problem für die Trinkwasserversorgung
darstellen. Deshalb entschloss sich der
Wasserleitungsverband Nördliches Bur-
genland (WLV) auf Basis eines fachlich
und rechtlich umfassend ausgearbeite-
ten Gutachtens für eine Eingabe beim
Bundesminister für Land- und Forstwirt-
schaft, Umwelt und Wasserwirtschaft
(BMLFUW), DI Andrä Rupprechter. Ziel:
Änderung des Nitrat-Aktionsprogrammes
zur Erreichung eines nachhaltigen Grund-
wasserschutzes.
Vor welchen Herausforderungen
stehen Sie als öffentlicher Wasserver-
sorger?
Herlicska:
Durch vorhandene Belastun-
gen sind zum Teil aufwändige Maßnah-
men, wie Grundwasserneuerschließun-
gen, eine Nitrataufbereitung (Kleylehof
in Nickelsdorf) u.a. erforderlich, welche
hohe Kosten verursachen. Auf Grund
der klimatischen Situation und der damit
in Zusammenhang stehenden geringen
Grundwasserneubildung kommt es bei
Stickstoffüberschüssen sehr schnell zu
starken Erhöhungen der Nitratgehalte im
Grundwasser. Der WLV gibt bestes Trink-
wasser an seine Kunden ab, gleichzeitig
bereiten uns jedoch die vorhandenen und
zum Teil steigenden Nitrat-Belastungen
des Grundwassers große Probleme.
Wo sehen Sie den vordringlichsten
Handlungsbedarf?
Herlicska:
Aus dem vorliegenden fach-
lich und rechtlich detailliert ausgearbeite-
ten Gutachten, welches gemeinsam vom
WLV und der ÖVGW (Österreichischen
Vereinigung für das Gas- und Wasserfach
= Dachverband der Wasserversorger) in
Auftrag gegeben wurde, geht eindeutig
hervor, dass die derzeit in Österreich
bestehenden Regelungen auch gegen
EU-Recht verstoßen, und daher grundle-
gende Verschärfungen erforderlich sind.
Die Kritikpunkte beziehen sich v.a. auf
festgelegte Obergrenzen der Düngung,
die u.a. klimatische Gegebenheiten
nicht entsprechend berücksichtigen, die
Dauer von Verbotszeiträumen betreffend
Stickstoffdünger-Ausbringungen, die
Lagerkapazität für Wirtschaftsdünger, die
Ausbringung auf gefrorene Böden, die
Lagerung von Wirtschaftsdüngern auf
Ackerflächen, usw.
Was erhoffen Sie sich durch die Einga-
be beim BMLFUW?
Herlicska:
Das Nitrat-Aktionsprogramm
wird 2016 überarbeitet. Wir sehen hier
die Chance für maßgebliche Änderungen
im Sinne eines nachhaltigen Grundwas-
serschutzes. Durch die Eingabe beim
BMLFUW, die bereits detaillierte Verbes-
serungsvorschläge enthält, erwarten wir
uns eine inhaltlich tatsächlich wesentlich
verbesserte Novelle des Nitrat-Aktions-
programmes. Nur so können wir langfris-
tig eine qualitativ hochwertige Trink-
wasserversorgung für die zukünftigen
Generationen erhalten und verbessern.
*DI Dr. Helmut Herlicska
ist Kulturtechniker und Wasserwirtschaftler und Technischer
Leiter des Wasserleitungsverbandes (WLV) Nördliches Burgenland.