Interview
Wiens Quartiere müssen
urbanisiert werden
Wie gut ist Wien imWohnbau?
Wien definiert sich aus gutem
Grund als Welthauptstadt des
Wohnbaus – angefangen durch
die Wohnbaupolitik des roten
Wiens in der Zwischenkriegszeit.
Die Stadt hat sehr viel Grün-
derzeitsubstanz, die durch den
Gemeindebau sehr gut ergänzt
wird. Im Vergleich zu anderen
Städten gibt es relativ wenig
Plattenbausiedlungen und
wenige Satellitenstädte, die nur
Schlafstätten sind.
Stichwort Wiener Stadterneu-
erung...
Wien hatte nach dem
Aufbau eine Stagnationsphase
im Schatten des eisernen Vor-
hangs, doch in der Ära Leopold
Gratz sind erstaunliche Dinge,
wie die sanfte Stadterneuerung,
passiert. Stadterneuerung
war das Großprojekt der 1000
kleinen unsichtbaren Projekte.
Das veränderte die Stadt ent-
scheidend und es fiel nicht so
spektakulär auf.
Ein Segen für die Stadt?
Ja,
denn überall dort, wo in den
letzten 100 Jahren nur mono-
funktionaler Wohnbau betrieben
wurde, sind zwar Siedlungen
gewachsen, aber es ist nie wirk-
lich ein urbanes Milieu und eine
Stadt entstanden.
Welche Probleme schafft feh-
lende Urbanität?
In klassischen
monofunktionalen Milieus,
sowohl im Bereich des Wohnens
und Arbeitens oder Einkaufens
in Shoppingmalls, gibt es Krisen.
Man denke nur an die Banlieues
Problematik in Frankreich. Da
schaukelt sich die Situation so
auf, dass ganze Stadtquartiere
mehr oder weniger zerstört
werden müssen. Jetzt sagt man,
das hat was mit Migration, mit
dem Islam, mit Jugendarbeits-
losigkeit zu tun. Aber das hat es
in Wien in der Gründerzeit auch
gegeben und trotzdem musste
Ottakring nicht gesprengt
werden.
Wie sieht die Zukunft Wiens
aus?
Der Bevölkerungszu-
wachs kann nicht durch neue
Projekte, etwa der Seestadt
Aspern, aufgefangen werden.
Die Stadt kommt unter einen
Nachverdichtungsdruck. Doch
Wien kann viel politischen Mut
beweisen, in dem es die mono-
funktionalen Wohnquartiere der
Zwischen- und Nachkriegszeit in
Richtung Stadt weiterentwickelt.
Wie könnte diese Weiterent-
wicklung aussehen?
Am Tag sind dort keine Men-
schen, die Kinder sind in der
Schule und die Leute in der
Arbeit. Am Abend tut sich auch
nichts, weil die Erdgeschoße
weder Geschäfte noch Lokale
haben. Diese Quartiere könnte
man weiterentwickeln, urbani-
sieren und so nachverdichten,
dass ein komplexerer und bes-
serer Lebensraum entsteht.
Ao.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. Erich
Raith
ist freischaffender Architekt
und Universitätsprofessor an der
Technischen Universität Wien
(Fachbereich Städtebau)
AK Stadt · Seite 11
wien.arbeiterkammer.at/meinestadt
Der Architekt
Erich Raith
über die Verdienste der
Wiener Wohnungspolitik, Versäumnisse und zukünf-
tige Herausforderungen für die Stadt.
.
Euro aufgenommen, mit Hilfe derer etwa
6.250 Wohnungen errichtet werden. Deren
Mietpreise werden sich nicht wesentlich
von jenen im herkömmlichen geförderten
Wohnbau unterscheiden. Möglicherweise
werden die Wiener Bemühungen auch von
Seiten des Bundes flankiert werden – eine
Einigung zwischen den Koalitionspartnern
zu Gunsten einer zusätzlichen Wohnbau
initiative des Bundes zeichnet sich ab.
Begrenzungen für Bodenpreise
Ein weiterer Brennpunkt in der Frage nach
leistbarem Wohnraum sind zweifelsohne
die Bodenpreise. Aufgrund der drastischen
Preissteigerungen bei Grundstücken für
den Mehrfamilienhausbau, ist auch hier
mutiges Handeln der Politik angezeigt. Um
die zunehmende räumliche Segmentie-
rung der Stadt zu vermeiden, braucht es
kluge Initiativen in der Bodenpolitik. Die AK
fordert daher die Schaffung einer eigenen
Widmungskategorie für geförderten Wohn-
bau. Nur durch eine derartige Intervention
mit strikten Preisbegrenzungen können die
Bodenpreise wieder auf ein – für gemein-
nützige Bauvereinigungen und MieterInnen
– verträgliches Niveau herabgesetzt werden.
Wenn das Wohnen zunehmend schwer
leistbar wird und sich eine kleine Gruppe
von Immobilieneigentümern an der Not der
Wohnungssuchenden bereichern kann, ist
das ein untragbarer Zustand.
Preisgestaltung
Gemeindewohnungen haben eine durch-
schnittlichen Bruttomiete (= Hauptmietzins +
Betriebskosten + Umsatzsteuer) von 5,64 €/
m². Bruttomieten von gemeinnützigen Bauver-
einigungen betragen rund 6,32 €/m². Mietet
man eine private Wohnung, kostet das 8 bis 12
€/m² Hauptmietzins + Betriebskosten + USt.
Mietzins
450 Mio Euro jährlich muss das Neubaubudget betragen