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Wirtschaft & Umwelt 1/2016
D
ie wirtschaftlichen Ver-
flechtungen innerhalb des
Binnenmarktes und geänderte
Produktionsmethoden und Kun-
dInnenwünsche machen Euro
pa von einem effizienten und
billigen Verkehr abhängig. Der
Sektor Verkehr erzeugt rund fünf
Prozent des EU-Bruttoinlands-
produktes und beschäftigt rund
elf Millionen Personen. Unter-
nehmen versuchen, beim Trans-
port Kosteneinsparungen vor-
zunehmen. Möglichkeiten der
Einsparung gibt es nur bedingt,
letztlich sind die Kosten für Fahr-
zeuge, Infrastruktur (Maut) und
Treibstoff für alle Anbieter nahe-
zu ident. Einige der verbliebenen
wichtigsten „Stellschrauben“
sind, neben einer verbesserten
Logistik, die Personalkosten,
die von Verkehrsträger zu Ver-
kehrsträger variiren. Sie stellen
aber immer einen bedeutenden
Kostenfaktor dar. Branchenana-
lysen der AK zeigen, dass der
Personalaufwand bei der Bahn
und im Straßengüterverkehr bis
zu einem Viertel betragen kann.
Bei Personalfragen (Einsatzbe-
dingungen, Löhne) gibt es euro-
paweit keine klaren Regelungen
bzw. sind diese schwer durch-
setzbar.
Keine soziale
Harmonisierung
Die Vollendung des Verkehrs-
binnenmarktes ging nicht mit
einer sozialen Harmonisierung
der Beschäftigungs- und Ar-
beitsbedingungen einher. In vie-
len Fällen greifen Regelungen,
etwa die Entsenderichtlinie,
nicht ausreichend, da sie den
Anforderungen des Verkehrs
nicht gerecht werden. Fragen
nach dem zu zahlenden Lohn,
den Einsatzbedingungen, der
sozialen Absicherung oder des
ArbeitnehmerInnenschutzes
sind, wegen der zahlreichen
Grenzübertritte der Beschäf-
tigten innerhalb nur weniger
Stunden, oft nur schwer be-
antwortbar. Gefinkelte Unter-
nehmenskonstruktionen tragen
das ihre dazu bei, die Situation
unübersichtlich zu halten. Bei
gleichbleibender Unternehmen-
stätigkeit werden über Briefka-
stenfirmen und Tochterunter-
nehmen sowohl Fahrzeuge als
auch Beschäftigte, oft völlig
legal, in Länder verlagert, in
denen das Steuer-, Lohn-, und
das Niveau des ArbeitnehmerIn-
nenschutzes Vorteile bringt.
Abgesehen
von
den
Lenk- und Ruhezeiten im Stra-
ßenverkehr werden soziale
Bestimmungen (Ausbildung,
Einsatzbedingungen, soziale
Absicherungen, Entlohnung) im
Verkehrsbereich vielfach nicht
bzw. nur marginal überprüft. Eine
Mindestkontrollrichtlinie gibt es
nur im Straßenverkehr.
Jenseitige Zustände
Dieser unkontrollierte Grau-
bereich kann dazu führen,
dass einige Unternehmen,
oftmals völlig legal, Druck auf
ArbeitnehmerInnen ausüben.
Ein entsprechender Bericht der
Europäischen Transportarbeiter-
Föderation (ETF) – „Moderne
Sklaverei im heutigen Europa?
Bericht der ETF über die Arbeits-
und Lebensbedingungen von
Berufskraftfahrern in Europa“
(Brüssel 2012) – und eine Studie
des Europäischen Parlaments
(EP) – „Die sozialen und Arbeits-
*DI Gregor Lahounik
ist Raumplaner
und Mitarbeiter der
Abteilung Umwelt &
Verkehr der AK Wien.
Fotos: Schuh (2)
Moderne Sklaverei
Moderne Sklaverei im heutigen Europa? Bericht der ETF über die
Arbeits- und Lebensbedingungen von Berufskraftfahrern in Euro-
pa, Brüssel 2012.
https://psl.verdi.de/++file++533996e5aa698e0656001da3/download/Arbeitsbedingungen_Broschre%20ETF.pdf
Legale Ausbeutung
vor der Haustüre
Der EU-Binnenmarkt erfordert einen funktionierenden Verkehrs-
sektor. Dieser soll nicht nur flexibel, sondern auch möglichst billig
sein. Ansprüche, die zumeist an die Schwächsten im Sektor weiter
gegeben werden: die Beschäftigten. Sie sind die Leidtragenden des
schrankenlosen Verkehrs.
Von Gregor Lahounik*
Betrieb
Kurzgefasst
Lange Arbeitszeiten,
schlechte Entlohnung,
miserable Ruhebe-
dingungen, Stress,
Müdigkeit und lange
Zeiten fernab der Fa-
milie kennzeichnen den
Alltag der im Transport
Beschäftigten, insbeson-
dere auf der Straße. Dies
seit Jahren mit Billigung
der EU-Gesetzgebung.
Deren Regelungen sind
zahnlos.