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Wirtschaft & Umwelt 3/2015
D
as Spektrum an gefährlichen
Chemikalien, die in der Land-
und Forstwirtschaft eingesetzt
werden, ist sehr breit. Es geht
weit über die chemischen Pflan-
zenschutzmittel hinaus, an die
wohl viele zuerst denken, wenn
von Giften in der Landwirtschaft
die Rede ist. Neben den Pflan-
zenschutzmitteln (Pestiziden) im
engeren Sinn werden Mittel zur
Bekämpfung von Schadorga-
nismen eingesetzt (sogenannte
Biozide) – beispielsweise Vor-
ratsschutzmittel, Desinfekti-
onsmittel, Holzschutzmittel –,
aber auch Reinigungsmittel,
Lösungsmittel und viele andere.
Auch Tierarzneimittel sind nicht
immer harmlos. Dazu kommen
noch Arbeitsstoffe, die nicht
absichtlich eingesetzt werden,
aber im Zuge der Arbeit entste-
hen, und die sehr gefährlich sein
können. Im landwirtschaftlichen
Bereich sind hier zum Beispiel
Gär- und Faulgase zu nennen,
aber auch Stäube aus unter-
schiedlichsten Quellen.
Diese vielfältigenChemikalien
können zu Unfällen führen, etwa
durch Verbrennung, Verätzung
oder Vergiftung; aber sie können
auch langfristig Schäden verur-
sachen. Manche Krankheiten,
die als Folge einer Aufnahme
solcher Chemikalien entstehen,
zeigen sich erst mit großer Ver-
zögerung. In vielen Fällen ist die
Exposition – also die Aufnahme
des chemischen Stoffes in den
Körper durch die Atemluft oder
über die Haut – so lange her,
dass sie als wahre Ursache
einer aufgetretenen Erkrankung
unbemerkt bleibt. Das gilt zum
Beispiel für Krebserkrankungen,
die oft erst mit einer Verzögerung
(einer sogenannten Latenzzeit)
von mehreren Jahren auftreten,
aber auch für die Verminderung
der Fortpflanzungsfähigkeit oder
für Allergien.
Krebserkrankungen
Viele Untersuchungen gibt
es über den Zusammenhang
zwischen dem Umgang mit
Pflanzenschutzmitteln und dem
Auftreten von Krebserkran-
kungen. In Frankreich, dem
Land mit der größten land-
wirtschaftlichen Fläche in der
EU-28, wird zu diesem Thema
besonders viel geforscht. Eine
Zusammenstellung des For-
schungsinstituts Inserm (Institut
national de la santé et de la
recherche médicale) aus 2013
trug alle wissenschaftlichen
Studien zusammen, die es zu
Gesundheitsschäden durch
Pestizide gibt, und wertete sie
gemeinsam aus.
Diese Analysen zeigen unter
anderem, dass bei mehreren
Typen von Krebserkrankungen
– etwa bei Non-Hodgkin-Lym-
phomen und bei Prostata-Krebs
– signifikante Zusammenhänge
mit der beruflichen Exposition
gegenüber Pestiziden und einer
erhöhten Wahrscheinlichkeit der
Erkrankung bestehen.
Neben den Krebserkran-
kungen untersuchte Inserm aber
auch Studien zu einer Vielzahl
anderer Erkrankungen. So zeigt
sich etwa, dass die Wahrschein-
lichkeit, an Parkinson zu erkran-
ken, durch die Exposition gegen-
über Pestiziden steigt. Auch Ent-
wicklungsschäden an Embryos
treten häufiger auf, wenn die
Mutter Pflanzenschutzmitteln
ausgesetzt war. Nachgewiesen
*Dr. Chrisoph Streissler
ist Chemiker und Mit-
arbeiter der Abteilung
Umwelt & Verkehr der
AK Wien.
FOTOS: ISTOCKPHOTO.COM/FOTOKOSTIC (1)
Unfallanalyse und Prävention
Die Broschüre „Gefahrstoffe in der Land- und Forstwirt-
schaft“, herausgegeben von der Sozialversicherung der
Bauern
(www.svb.at), enthält weiterführende Informationen,
besonders zu akuten Gefahren durch Chemikalien.
Gefahrstoffe in der
Landwirtschaft
Wenn es um Gifte in der landwirtschaftlichen Produktion geht, den-
ken viele an die Gefahr, die diese dann in den Nahrungsmitteln dar-
stellen. Viel unmittelbarer stellen sie aber ein Risiko für diejenigen
dar, die sie anwenden: Landwirte und Beschäftigte in der Land- und
Forstwirtschaft.
VON CHRISTOPH STREISSLER *
Betrieb
KURZGEFASST
Auch Menschen, die in
der Land- und Forst-
wirtschaft tätig sind,
sollen vor gefährlichen
Chemikalien geschützt
werden. Aber die Vielfalt
an Stoffen einerseits, die
unterschiedlichen recht-
lichen Situationen der
Arbeitenden andererseits
machen diese Aufgabe
recht schwierig.