umindest in der EU
schien Wirtschafts-
wachstum vor der Fi-
nanzkrise immer entkoppelter
vom subjektiven Wohlbefin-
den derMehrheitsbevölkerung
zu sein, während ökologische
Probleme weiter zunahmen.
Doch obwohl die aktuelle
Finanzkrise zeigt, dass neoli-
berale Wirtschaftspolitik nicht
in der Lage war und ist, eine
nachhaltige Verbesserung der
Lebensbedingungen aller zu
erreichen, hat die Finanzkrise
zu einem Abflauen der Dis-
kussion darüber, wie Wohl-
stand gemessen werden kann
und zu einer Konzentration
auf kurzfristige Probleme, wie
den Einbruch des Wirtschafts-
wachstums, geführt.
BIP kein Ziel an sich
Dabei ist die Diskussion
von großer Bedeutung, ob ein
bestimmtes BIP-Wachstum
ein Ziel an sich, oder eher ein
Mittel zur Erreichung anderer
Ziele sein kann. Ist doch ein
wesentliches Ergebnis der
Glücksforschung, dass nach
Erreichen eines bestimmten
Wohlstandsniveaus weiteres
Wirtschaftswachstum nur
mehr sehr schwache bis keine
Effekte auf das subjektive
Wohlbefinden hat. Das Wohl-
befinden dürfte dann eben eher
von der Verteilung monetärer
Ressourcen, Arbeitslosigkeit,
Arbeitsqualität, Freizeit und
anderen Faktoren wie z. B.
Gesundheit oder soziale Ein-
gebundenheit bestimmt sein.
Hierbei ist es schwierig,
diese gesamtgesellschaftli-
chen Ziele, die dann gemessen
werden sollen, zu definieren,
wobei dies letztlich nur in
einem auf philosophischen
Überlegungen basierenden,
politischen Prozess erfolgen
kann. Allerdings muss aus-
drücklich darauf hingewiesen
werden, dass die Entscheidung
über geeignete Wohlfahrtsin-
dikatoren eine politische ist
und somit nicht von ExpertIn-
nen entschieden werden kann.
Im Folgenden sollen dabei
Indikatoren zur Messung von
Wohlstand in den Bereichen
materieller Wohlstand, Le-
bensqualität und ökologische
Nachhaltigkeit getrennt be-
wertet und deren aktuelle Ent-
wicklung analysiert werden.
Materieller
Wohlstand
Betrachtet man die Wirt-
schaftsentwicklung in Europa
von 2008 bis 2013, so kann
unzweifelhaft ein Schrumpfen
der europäischen Wirtschaft
insgesamt festgestellt werden.
Hier ließe sich einwenden,
dass dies von einem nicht
BIP-zentrierten Standpunkt
aus nicht notwendigerweise
problematisch sein müsste. So
beweisen beispielsweise die
unterschiedlichen Ergebnisse
in Bezug auf den Human-
Development-Index bei ähnli-
chemNiveau des BIP proKopf
der Staaten Kuba und Indien,
*
Mag. Sven Hergovich, Bakk.
ist Ökonom und Mitarbeiter der
Abteilung Umwelt & Verkehr in der
AK Wien.
Schon vor der Finanzkrise waren vieleMenschen – trotz relativ hoher Wachs-
tums- und sinkender Arbeitslosigkeitsraten – der Meinung, dass unser Wirt-
schaftssystem nicht optimal funktioniert. Umfasst Wohlstand also mehr als
nur das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf? Und: Welche Indikatoren braucht
es um den Wohlstand einer Gesellschaft zu messen?
Von Sven Hergovich*
Fotos: Schuh (2), Fotolia/Goran Bogicevic (1)
Politik
Beyond GDP
Der obige Beitrag ist eine überarbeitete Zusammenfassung der Überlegungen
des Artikels „Beyond GDP: Can we Re-Focus the Debate? von Georg Feigl,
Sven Hergovich und Miriam Rehm, der im ETUI-Bericht Social Development
in the European Union 2012 erschienen ist.
Zusammenfassung:
Das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) ist eine wichtige
ökonomische Kennzahl,
aber kein ausreichender
Indikator für den Wohl-
stand einer Gesellschaft.
Um den Wohlstand einer
Gesellschaft abzubilden,
müssen viele Indikatoren
gemeinsam betrachtet
werden, wobei in Zukunft
unter anderem mehr Au-
genmerk auf Indikatoren
zur Messung von Vertei-
lungsgerechtigkeit gelegt
werden muss.
Was ist
Wohlstand?
Z
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Wirtschaft & Umwelt 4/2013
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