egenwärtig sind in der EU zwei
widerstreitende Entwicklungen
bei den öffentlichen Dienst-
leistungen zu beobachten. Auf der ei-
nen Seite ist quer durch Europa eine
zunehmende Liberalisierungs- und Pri-
vatisierungsskepsis festzustellen. Die
BürgerInnen und die lokalen Entschei-
dungsträgerInnen kennen die negativen
Erfahrungen mit Liberalisierungs- und
Privatisierungsmaßnahmen, wie etwa
massive Teuerungen, ausbleibende In-
vestitionen in die Instandhaltung, Ab-
bau von Arbeitsplätzen, Ausschluss von
BürgerInnen oder Verlust der demokra-
tischen Kontrolle. Mit genau diesen Pro-
blemen konfrontiert, haben sich jüngst
etwa die BürgerInnen von Hamburg per
Volksentscheid für einen vollständigen
Rückkauf der Strom-, Gas- und Fern-
wärmenetze ausgesprochen. Ebenfalls
vor diesem Hintergrund wurde in Städ-
ten wie Paris oder Berlin in den letzten
Jahren die Rekommunalisierung der
Wasserversorgung durchgeführt oder
dahingehende Schritte vorbereitet.
Austeritätspolitik
Auf der anderen Seite wird jedoch der
bisherige Liberalisierungskurs auf EU-
und nationaler Ebene weiterhin fortge-
setzt unddurchdiegegenwärtigeAusteri-
tätspolitik der Druck auf die öffentlichen
Dienstleistungen sogar noch verschärft.
Durch Maßnahmen wie das Europäische
Semester, Six-Pack, Fiskalpakt oder die
geplanten Pakte für Wettbewerbsfähig-
keit hat die EU-Krisenpolitik die Regu-
latorien für Haushaltsdisziplin für alle
Mitgliedstaaten verschärft und damit der
öffentlichen Hand einen erhöhten Spar-
oder zumindest Rechtfertigungsdruck
auferlegt. Besonders massiv sind die
Auswirkungen in jenen Mitgliedstaaten,
welche mit der Troika – bestehend aus
EU-Kommission, EZB und IWF – die
Bedingungen für die Auszahlungen von
Finanzmitteln im Rahmen der Rettungs-
pakete verhandeln mussten. So ist etwa
im Memorandum of Understanding mit
Griechenland eine konkrete Aufforde-
rung enthalten, den „öffentlichen Fuß-
abdruck in der Wirtschaft durch harte
strukturelle finanzpolitische Reform
und Privatisierung öffentlicher Güter
zu reduzieren“ (Übersetzung der Auto-
rin). Als direkte Folge der Krisenpolitik
stehen in Griechenland heute nicht nur
einzelnen Sektoren, sondern beinahe
das gesamte Spektrum von öffentlichen
Dienstleistungen zum Verkauf, u.a. die
Wasserversorgung, Abwasserentsor-
gung, Häfen und Flughäfen, Eisenbah-
nen, Straßen, Post, öffentlicher Rund-
funk, Energiesektor, Goldminen etc.
Zusätzlich zu diesen aktuellen Ent-
wicklungen wird auch im Rahmen der
EU-Binnenmarkt- und Handelspolitik
eine verstärkte Wettbewerbsorientie-
rung der öffentlichen Dienstleistungen
Fotos: Schuh (3)
*Mag. Alice Wagner
ist Juristin,
Mitarbeiterin der Abteilung EU
und Internationales in der AK
Wien und Redaktionsmitglied der
Zeitschrift juridikum.
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Schwerpunkt
DASEINSVORSORGE
Daseinsvorsorge
in Europa
G
Wie steht es um die Daseinsvorsorge in Europa? Die Krise und
die gegenwärtige Austeritätspolitik haben den Druck auf die öf-
fentlichen Dienstleistungen verschärft. Jedoch besteht mittler-
weile auch der Trend zur „Rekommunalisierung“. Wird die EU
ihren bisherigen Liberalisierungskurs in Zukunft fortsetzen? Wel-
che Bedeutung kommt dem Europarecht zu?
VON ALICE WAGNER*
Zusammenfassung:
Das EU-Recht enthält eine
Wettbewerbsorientierung,
welche mit der Erbringung
öffentlicher Dienstleis-
tungen oftmals in Konflikt
steht. Auch die gegen-
wärtige EU-Krisenpolitik,
sowie horizontale und
sektorale Rechtsakte
haben Liberalisierung und
Privatisierung weiter vor-
angetrieben. Dem Willen
der BürgerInnen entspricht
diese Ausrichtung der eu-
ropäischen Politik jedoch
oftmals nicht.
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Wirtschaft & Umwelt 4/2013
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