Bundeskanzleramt und demUmwelt-
ministerium ausgehandelte Dokument
sei zu „sozialistisch“ und außerdem zu
lang. Mittlerweile sind auch alle Teil-
nehmer des Prozesses offiziell informiert
worden, dass die Verhandlungen auf der
Ebene der Ministerbüros keine Einigung
gebracht haben. Mit September werde
bekannt gegeben, wie es weitergehen
soll. Einen neuen Endtermin für die Be-
schlussfassung im Ministerrat gebe es
noch nicht.
Kurzum: Die österreichische Delega-
tion musste also Mitte Juni ohne NStrat-
NEU zur UN-Nachhaltigkeitskonferenz
nach Rio fahren. Rio+20 hat das sicher
keinen Abbruch getan. Die kleine öster-
reichische Peinlichkeit, dass wir immer
noch nicht über eine anerkannte Strate-
gie des Bundes verfügen, ist wohl hinter
den durchwachsenen Ergebnissen von
Rio+20 verblasst. Umweltminister Ber-
lakovich hat auch nicht deswegen seine
Teilnahme in Rio abgesagt. Dafür seien
die aus österreichischer Sicht dürftigen
Verhandlungsergebnisse im Vorfeld des
Gipfels verantwortlich – so die offizielle
Kommunikation.
STILLSTAND
Der Rechnungshof hat anlässlich
seines Berichts „Nachhaltige Entwick-
lung in Österreich“ festgestellt, dass die
NStratALT schon ab 2007, dem Beginn
der Arbeiten an der ÖStrat – der ge-
meinsamen Bund-Länder-Plattform mit
gleichnamiger Strategie – nicht mehr
weiterentwickelt worden ist. Die NStrat
ALT hat einfach niemand ernst genom-
men. Ihr fehlte von Anfang an die poli-
tische Legitimation: Eine von der WU-
Wien 2002 erstellte Evaluation listet all
die Änderungen auf, die am ExpertIn-
nenentwurf für die NStratALT in letzter
Minute – auf Drängen einer der beiden
politischen Parteien in der schwarz-blau-
enKoalition – in der abschließenden poli-
tischen Koordination auf Kabinettsebene
vorgenommen worden waren. Wichtige
Ziele oder Maßnahmen fehlten plötzlich,
stattdessen fanden sich gar Textpassagen
aus der damaligen Koalitionsvereinba-
rung. Die Mitarbeiter der Redaktions-
gruppe für den Expertenentwurf sahen
darin einen Bruch der Arbeitsspielregeln,
so die Evaluation höflich.
EVALUIERUNG
Insider sprechen unverblümt aus, dass
der Entwurf eine „politische Totgeburt“
war. Die WU-Evaluation empfiehlt dann
auch lakonisch: „Für künftige Projekte
bleibt zu überlegen, wie der Übergang
zwischen Entwurf und politischem
Grundsatzpapier effizienter, transparen-
ter und zielorientierter organisiert werden
könnte.“ Sprich: Was die Ministerbüros
schlussendlich als Text vereinbaren, soll
für die Experten, die vorher dran gearbei-
tet haben, nachvollziehbar bleiben.
Schwerpunkt
NACHhaltigkeit
*Mag. Werner Hochreiter
ist
Jurist und Mitarbeiter der Abteilung
Umwelt & Verkehr in der AK Wien.
Seite 22
Wirtschaft & Umwelt 3/2012
Eine NStratNEU ist also sicher nö-
tig. Doch die aktuellen Entwicklungen
werfen die Frage auf, ob man aus den
damaligen Erfahrungen genug gelernt
hat. Die Neuausarbeitung der NStrat ist
im Regierungsprogramm fix vereinbart.
Dafür hatte sich die AK sehr eingesetzt.
Den förmlichen Auftrag erteilte der Mi-
nisterrat bereits im Sommer 2010, die
konkreten Arbeiten (Kasten Seite 23) ha-
ben dann aber erst imNovember 2011 be-
gonnen. An den zehn Workshops – einer
je Handlungsfeld – haben insgesamt rund
100 ExpertInnen aus Ministerien und So-
zialpartnerorganisationen teilgenommen.
Ende Juni hat das „Komitee nachhaltiges
Österreich“ (KNHÖ – Gremium zur Ab-
stimmung zwischen allen Ministerien
und Sozialpartnern) das Gesamtdoku-
ment abgesegnet. Die zehn Leitbilder und
die zugehörigen Zielsetzungen waren
praktisch ganz abgestimmt. Lediglich in
einigen Handlungsansätzen – vornehm-
lich zu brisanten sozial- und wirtschafts-
politischen Themenwie z. B. Arbeitszeit-
verkürzung – wollte man die endgültige
➔
NACHHALTIGKEIT
ANFORDERUNGEN
„Nachhaltige Entwicklung ist jene Entwicklung, die den Bedürfnissen der
heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generatio-
nen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“. So hat es 1987
die World Commission on Environment and Development der UNO („Brundt-
land-Kommission“) definiert und war 1992 Basis für die Agenda 21, das am
Weltgipfel in Rio verabschiedete weltweite Aktionsprogramm. Nachhaltigkeit
erfordert einen politischen Ausgleich zwischen Mensch und Umwelt, der
gegenwärtigen und den künftigen Generationen, Arm und Reich. Politikan-
sätze dafür müssen langfristig sein und die ökonomischen, ökologischen und
sozialen Fragen („drei Säulen der Nachhaltigkeit“) integriert behandeln. Die
Umsetzung bedeutet meist das Bohren harter Bretter ...