Vorhaben bedürfen einer Umwelt-
verträglichkeitsprüfung (UVP). Bürger­
Innen-Initiativen gegen viele der schon
in Planung befindlichen Projekte zeigen,
dass Betroffene vielerorts schon heute
auf eine unbefriedigende Berücksich-
tungung ihrer Anliegen imPlanungspro-
zess reagieren. Derzeit laufen insgesamt
sechs Pilotverfahren, in denen die Re-
gierung die Nutzung von Biodiversitäts-
zertifikaten erproben lässt. Erfahrungen
mit zwei konkreten Bauvorhaben zeigen
bereits jetzt, wie Biodiversitätszertifika-
te benutzt werden, um formale Einwän-
de einer BürgerInnen-Initiative bzw.
eines Kreistags (District Council) gegen
strittige Bauvorhaben abzuweisen.
In North Tynside in Nordengland leg-
ten BürgerInnen-Initiativen Einspruch
gegen Bebauung einer als ‚Site of Spe-
cial Interest‘ ausgewiesenen Fläche ein.
Planungsrat und Schlichter begründeten
die Bewilligung des umstrittenen Bau-
vorhabens eines Privatinvestors explizit
mit der Option, dass zu erwartende Ha-
bitatzerstörung durch Biodiversitätszer-
tifikate an anderer Stelle ausgeglichen
werde. Einer der Hauptgründe für die
Bewilligung des Projekts war dabei die
Zusage der ‘Environment Bank’, einem
privaten Anbieter von Kompensations-
flächen, entstehende negative Auswir-
kungen auf Biodiversität durch Bereit-
stellung adäquater Flächen an anderer
Stelle kompensieren zu können.
In Essex, im Süden Englands, ließ
der Schlichter die Beschwerde eines
Privatinvestors zu, der gegen die Ableh-
nung seines Neubaukomplexes durch
den Kreistag klagte. Der Kreistag be-
gründete die Ablehnung vor allem mit
dem Risiko des Verlusts von Habitat für
eine bedrohte Eidechsenart sowie un-
zureichende Prüfung auf Vorkommen
anderer geschützter Arten auf dem vom
Bau betroffenen Gelände. Der Investor
hatte vorgeschlagen, die Habitatzerstö-
rung durch Finanzierung einer größeren
Fläche Habitats niedrigerer Qualität zu
kompensieren, auf der die geschützte
Art aber nicht vorkam. Auch sollte die
Zerstörung des Habitats durch Finanzie-
rung der Ausgleichsfläche über nur 25
Jahre abgegolten sein, unabhängig vom
Zustand der Flächen zu diesem Zeit-
punkt. „Biodiversitätszertifikate retten
Essex Baukomplex“, titelte die lokale
Tageszeitung.
Weitere Beispiele, bei denen Biodi-
versitätszertifikate benutzt werden, um
umstrittene Infrastrukturprojekte gegen
lokalen Widerstand durchzusetzen, fin-
den sich in der Kurzbroschüre ‚Case stu-
dies of biodiversity offsetting‘ (www.
fern.org/sites/fern.org/files/Offset%20
stories%20-%20Final.pdf). Das Netz-
werk ‚No to Financialization of Nature‘
hat dazu ergänzend eine Fotodokumen-
tation zusammengetragen:
Schwerpunkt
NATURSCHUTZ
*Jutta Kill
ist Biologin. Sie arbeitet als Autorin
und Aktivistin mit sozialen Netzwerken und Orga-
nisationen wie dem World Rainforest Movement.
Bis 2012 koordinierte sie bei der NRO FERN in
Großbritannien die Kampagne zur Abschaffung
des Emissionshandels.
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Wirtschaft & Umwelt 2/2014
criticalcollective.org/index.php?modul
e=media&pId=100&category=gallery/
exhibition
Irrwege
Neu sind solche Erfahrungen nicht.
Sie spiegeln vielmehr die Erfahrungen
vieler Gemeinden im globalen Süden
wider, auf deren Land Waldschutzpro-
jekte unter dem Deckmantel des Klima-
schutzes umgesetzt wurden und werden.
Besonders deutlich zeigen unter dem
Namen REDD (Reducing Emissions
from Deforestation and Forest Degrada-
tion) vermarktete Projekte die Folgen ei-
ner monetären Bewertung, die Natur auf
sogenannte Ökosystemleistungen – hier
die Kohlenstoffspeicherkapazität der
Wälder – reduziert. Befürworter solcher
Kompensationsprojekte argumentieren
ähnlich wie die Befürworter von Biodi-
Paradigmenwechsel in der Umweltgesetzgebung
Grüne Börse Rio als Symbol
Trotz einer viel gelobten Waldgesetzgebung zerstörten illegale Rodungen
v.a. für Rinderzucht große Waldflächen im brasilianischen Amazonas. Die
Revision des Waldgesetzes 2012 setzt einerseits auf fiskale Anreize, um
dem Waldverlust Einhalt zu gebieten: Wer vor 2008 illegal gerodete Flächen
nicht wiederbepflanzt, verliert den Zugang zu verbilligten Agrarkrediten.
Gleichzeitig eröffnet das Gesetz jedoch Landbesitzern die Option, Legalität
zu erlangen, indem sie statt Wiederaufforstung auf eigenem Land Wald-
schutzzertifikate an der BVRio (
, der Grünen Börse in Rio de
Janeiro, erwerben. Die Neuerung erlaubt somit letztendlich Waldzerstörung
über gesetzliche Grenzen hinaus dort, wo sie am profitabelsten ist, während
abgelegene Waldflächen, die nicht von Waldzerstörung bedroht sind, die
notwendigen Waldschutzzertifikate liefern. Damit scheint ein Anstieg der
Waldzerstörung durch die Option Waldschutzzertifikate wahrscheinlich.
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