Beispiele zeigen, dass die ökologischen
Lebensgrundlagen von marginalisierten
Menschen – oft in den Entwicklungs-
ländern – durch Rohstoffextraktion zur
Versorgung der scheinbar sauberen,
öko-effizienten StadtbewohnerInnen in
den Industrieländern gefährdet werden.
Nötig wäre also ein anderes Entwick-
lungsmodell, in dem es möglich ist,
eine hohe Lebensqualität mit drastisch
geringerem Einsatz nicht erneuerbarer
bzw. nicht nachhaltiger Ressourcen zu
erzielen. Wie dieses aussehen könnte, ist
heute sehr schwer vorstellbar. Vermut-
lich können wir uns eine nachhaltige
Gesellschaft ebenso schwer vorstellen
wie Menschen im 16. Jahrhundert die
heutige Industriegesellschaft. Sozial-
ökologische Steuerreformen, die Arbeit
ent- und Ressourceneinsatz belasten,
wären vermutlich eine sinnvolle Stra-
tegie, um Entwicklungen in diese Rich-
tung anzuregen. Nicht nur wegen ihrer
unmittelbaren positiven Umwelteffek-
te auf Grund der durch sie ausgelösten
Preiseffekte, sondern auch, weil sie ein
starkes kommunikatives Signal darstel-
len, das Kreativität und Innovationen in
eine andere Richtung lenken könnte.
Die Verwendung von menschlicher
Lebenszeit ist ein anderes, heute (noch)
zu wenig beachtetes Element möglicher
Strategien in Richtung Nachhaltigkeit.
Mehr Lebensqualität bei weniger mate-
riellem Konsum könnte vielleicht durch
eine Senkung der Lebensarbeitszeit er-
reicht werden – ein Bereich des mensch-
lichen Lebens, der politischer Steuerung
zugänglich ist.
Und letztlich ist es notwendig, über
gesellschaftliche Institutionen nachzu-
denken. Die Institutionen heutiger In-
dustriegesellschaften beruhen auf Wirt-
schaftswachstum – ohne Wachstum
gerät die Industriegesellschaft in die
Krise. Doch Institutionen sind wandel-
bar, wenn auch nur sehr langsam. Auch
das ist vielleicht eine vage Hoffnung
– allerdings auch eine Perspektive, die
radikales Infragestellen der gegenwär-
tigen gesellschaftlichen Verhältnisse
erfordert und darauf hindeutet, dass
ein Übergang zur Nachhaltigkeit nur
durch drastische Veränderungen des
gegenwärtigen Wirtschafts- und Ge-
sellschaftsmodells, also durch eine neue
sozial-ökologische Transformation, er-
reicht werden kann.
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Schwerpunkt
Seite 24
Wirtschaft & Umwelt 3/2014
Interview folgt
*
Dr. Ulrich Brand
ist Professor am Institut
für Politikwissenschaft der Universität Wien.
Er leitet ein vom österreichischen Klima- und
Energiefonds (KLIEN) finanziertes Projekt
zur Rolle der Gewerkschaften im sozial-
ökologischen Umbau; daran sind neben der
AK auch die Gewerkschaften PRO-GE, Bau-
Holz und vida beteiligt.
Viel ist die Rede von „Green
Growth“ und „Green Economy“
als Entwicklungsmodell der
Zukunft. Sehen Sie darin einen
Ausweg aus den immer offen-
sichtlicheren ökologischen
Krisen?
Brand:
Bei allen sinnvollen Ver-
änderungen im Einzelnen reicht
das nicht. Man tut so, als wenn
mit einigen politischen Anreizen
die Investitionen, Produktion
und Arbeitsplätze „grün“ werden
würden. Das Problem ist doch die
Profitlogik, die immer weiter auf Ex-
pansion setzt. Wir benötigen einen
tiefgreifenden sozial-ökologischen
Umbau der Wirtschaftsstrukturen.
Zudem: In den grünen Branchen ist
die Interessenvertretung tenden-
ziell schwächer. Menschen ohne
Gestaltungsmöglichkeiten und
unter Dauerdruck, mit Angst und in
Prekarität werden nicht mitmachen
beim Umbau.
Welche Bedeutung hat die pro-
duzierende Industrie in zukünfti-
gen Wirtschaftsmodellen?
Brand:
Weiterhin sollen gesell-
schaftlich sinnvolle und ökologisch
nachhaltige Produkte hergestellt
werden. Die Beschäftigten sollen
dabei gute Arbeitsbedingungen
haben und mitgestalten können.
Die Herausforderung besteht
darin zu ermitteln, wie wir zu
guten Produktionsprozessen und
Produkten kommen, die sozial und
ökologisch verträglich sind. Dafür
benötigen wir wahrscheinlich mehr
gesellschaftliche Bedarfsermittlung
und Planung, inklusive verstärkter
Planung der Investitionen. Der
kapitalistische Markt ist ja blind
dagegen. Damit meine ich nicht,
dass den Menschen vorgeschrie-
ben wird, wie sie leben sollen.
Vorstellungen eines guten Lebens
unter Bedingungen ökologischer
Grenzen müssen wir gemeinsam
entwickeln. Dabei wird es auch zu
Konflikten kommen; aber ich setze
gerade bei den Beschäftigten und
ihren Interessenvertretungen auf
Lernprozesse und Einsicht.
Welche Rolle kommt bei diesen
Veränderungen den Gewerk-
schaften zu?
Brand:
Gewerkschaften können
noch stärker das gesellschaftliche
Interesse im Blick haben als die Be-
triebsräte. Natürlich müssen auch
sie „ihre“ Betriebe und Branchen
verteidigen und Rechte ausbauen.
Doch sie sollten das gesamtge-
sellschaftliche Interesse im Blick
haben: Die ökologische Krise muss
bearbeitet werden, wir können nicht
immer weiter beschleunigen, es
geht nicht, dass die Vermögenden
immer reicher werden. Initiativen
wie Arbeitszeitverkürzung, stärkere
ökologische Standards, eventuell
die geplante und nicht auf dem
Rücken der Beschäftigten ausge-
tragene Konversion bestimmter
Industrien, die Stärkung des öf-
fentlichen Sektors, damit ein gutes
Leben nicht nur vom Geldbörsel
abhängt – das sollten die Gewerk-
schaften aufgreifen. Und tun es
glücklicherweise ja zunehmend.
Interview mit Ulrich Brand
Industrie und Umweltschutz
In letzter Zeit wird zunehmend über das Thema „Reindustrialisie-
rung“ diskutiert. Ist das gut oder schlecht für die Umwelt vor dem
Hintergrund zunehmender ökologischer Krisen? Welche Antworten
und Handlungsperspektiven gibt es dazu?
Fotos: Bärbel Högner (1)