Gemeinsammit Schweden sind
die Briten die Pioniere der Li-
beralisierung in Europa. Beide
Länder zeigen eines deutlich:
Die anfangs gemachten Ver-
sprechungen der Marktöffner,
wie die Qualitätssteigerung bei
gleichzeitiger Reduktion der
Ticket- und der Gesamtkosten,
sind nicht eingetreten, die bis-
herigen Liberalisierungen sind
offenkundig sowohl finanziell
als auch verkehrspolitisch ge-
scheitert.
Bereits 2004, nur wenige
Jahre nach der Liberalisierung
war klar, dass der britischeWeg
ein Irrweg war: Enorm gestie-
genen Subventionen standen
nur mäßige Erfolge gegenüber.
Die zusätzlichen Mittel (von
1.600 Millionen Pfund in den
1990ern auf nicht weniger als
3.800 Millionen Pfund nach
der Liberalisierung) flossen,
so die National Union of Rail,
Maritime and Transport Wor-
kers, direkt in die Taschen der
Aktionäre und wurden so dem
System entzogen. Im Grunde
wurde schon damals viel mehr
Steuergeld für eine höhere, aber
letztendlich unbeständigere
Anzahl von Zügen ausgegeben,
die zwar neuer, aber weniger
pünktlich sind. Die Studie „Re-
alising the Potential ofGBRail”
kommt zum Schluss, dass es
gegenüber anderen Bahnen zu
einer Effizienzsteigerung von
40 Prozent kommen muss. Die
Briten zahlen zudem die teu-
ersten Tickets in ganz Europa.
Berechnungen von Just Eco-
nomics zufolge würden sich
die britischen Bahnreisenden
5,3 Milliarden Euro pro Jahr
sparen, wenn die Ticketpreise
auf dem gleichen Niveau wären
wie in Frankreich. Selbst der
Infrastrukturbetreiber Network
Rail ließ, wie die BBC im No-
vember 2009 berichtete, seine
Beschäftigten lieber mit dem
Bus fahren, da die Bahntickets
schlicht zu teuer sind. Jährlich
werden mehrere Millionen (!)
Tarife definiert, vom Verkehrs-
ministerium überprüft und den
Politik
Gewinner II
Die erfolgreichsten und beliebtesten Bahnen in Europa, jene der Schweiz, sind
selbstverständlich nicht liberalisiert. Niemand käme in der Schweiz auf die
Idee, die Win-Win-Situation für öffentliche Hand, Eisenbahnunternehmen und
Fahrgäste durch aberwitzige Liberalisierungen zu gefährden.
Der Anteil der ökologi-
schen Bahnen am Ge-
samtverkehrsaufkommen
ist von dessen Libera-
lisierungsgrad schlicht
unabhängig. Gleiches gilt
für die Entwicklung des
Fahrgastaufkommens
innerhalb der letzten
Jahre. Stark liberalisierte
Länder können zwischen
2008 und 2011 Zuge-
winne bei den Reisenden
auf der Schiene verzeich-
nen, aber auch weniger
stark liberalisierte Länder
haben Zugewinne. Im
Rahmen einer Studie
(Liberalisierungsindex)
wurden Länder analy-
siert und in Kategorien
eingeteilt, die den
Liberalisierungsgrad (von
0-1000) in verschiedenen
Bereichen (Marktzugang,
rechtliche Möglichkeiten)
widerspiegeln sollen.
Frankreich (23. Platz
beim Liberalisierungs-
grad) hat einen höheren
Zugewinn (+3%) als
Deutschland (3. Platz
und +1%). Ebenso hat
Frankreich einen höheren
Anteil der Schiene am
Modal Split als Deutsch-
land. Einzelne stark
liberalisierte Länder,
wie die Tschechische
Republik, weisen sogar
einen Rückgang auf. Die
beste Performance hat
die Bahn in der Schweiz,
ein Land dessen
Schienenverkehr auf Ko-
operation und nicht auf
Wettbewerb ausgelegt
ist. Ein ähnliches Bild
vermittelt der liberali-
sierte Güterverkehr: Auch
hier entwickeln sich die
Bahnen unabhängig vom
Liberalisierungsgrad. Der
tatsächliche Schlüssel für
eine Attraktivierung der
Bahnen liegt nicht in der
Liberalisierung, sondern
in der Kostenwahrheit
bei allen Verkehrsträgern
(der Kostendeckungs-
grad des Straßenver-
kehrs liegt bei bloß einem
Drittel), in Investitionen
(v.a. in den Nah- und
Regionalverkehr) und in
der Raumordnung, die
derzeit rein auf die Straße
ausgelegt ist.
Modal Split
Liberalisierungsschwindel
Endstation für öffentliche Bahnen?
Wirtschaft & Umwelt 2/2013
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Liberalisierungsindex
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Anteil der Schiene am Modal Split
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Länder